Zu Recht wurde wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass dem Begriff der Chiffer bei Karl Jaspers der Symbolbegriff, wie ihn der evangelische Theologe und Religionsphilosoph Paul Tillich (1886-1965),(2) in seinem umfangreichen Werk entwickelt hat, recht nahe steht.(3)
Auch bei Tillich selbst finden wir für diese Auffassung einen Beleg, wenn er in einem Vortrag über "Heidegger and Jaspers," den er am 23. März 1954 im "Cooper Union Forum" in New York gehalten hat, Jaspers’ Chiffernlehre ganz im Sinne seiner eigenen Symboltheorie deutet.(4)
Es ist keine Frage: Was für den einen das Symbol ist, ist für den anderen die Chiffer. Ist das Symbol für Tillich die Sprache der Religion, so ist die Chiffer für Jaspers die Sprache der Transzendenz. In der Verschiedenheit der Wortwahl drückt sich – bei aller Gemeinsamkeit – aber immer auch schon eine sachliche Differenz aus, die darin besteht, dass Jaspers sich ja bekanntlich gegen die Religion wendet, die er wesentlich als Offenbarungsreligion begreift (vgl. PGO).(5)
Das hat für ihn aber nicht den Atheismus oder Nihilismus zur Konsequenz – ganz im Gegenteil, denn diese Disjunktion ist für Jaspers nicht vollständig. Tertium datur! Für Jaspers gibt es als weitere Möglichkeit, ja es ist für ihn die entscheidende Möglichkeit, den "philosophischen Glauben,"(6)
d.h. der Mensch hat als Mensch immer schon einen genuinen Zugang zur Transzendenz. "Existenz" ist immer schon bezogen auf "Transzendenz."
Auf die Bedeutung der Symboltheorie für Tillichs Denken hat zu Recht Otto Dibelius in seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Paul Tillich im Jahre 1962 aufmerksam gemacht. Er hat hier als besonderes Verdienst Tillichs hervorgehoben, dass er den Begriff des Symbols in die evangelische Theologie eingeführt habe.(7) Dass Tillich selbst diesem Thema für sein eigenes Denken auch eine zentrale Rolle beigemessen hat, geht daraus hervor, dass er seine Dogmatik-Vorlesung (vgl. EW XIV),(8)
die er anfänglich 1925 in Marburg, dann von 1925 bis 1927 in Dresden gehalten hat, unter dem Titel "Die Wissenschaft vom religiösen Symbol (Dogmatik)" im Otto Reichl Verlag veröffentlichen wollte (vgl. EW XIV, XXX). Tillich hat diesen Plan zwar dann wieder verworfen – aus welchen Gründen auch immer –, aber das Thema Symbol zieht sich wie ein roter Faden durch sein ganzes Werk hindurch und lässt bis in das Spätwerk hinein eine grundsätzliche Kontinuität erkennen.
In Tillichs Theorie des religiösen Symbols fließen ganz verschiedene Traditionsstränge und Aspekte zusammen. Zu nennen sind hier die sog. "Negative Theologie," auf die Tillich in diesem Zusammenhang auch selbst aufmerksam macht (vgl. EW I, 112),(9)
die Mythen- und Symboldeutung Schellings und Ernst Cassirers (vgl. GW V, 188),(10)
sowie Rudolf Ottos Begriff des Ideogramms (vgl. GW XII, 182).(11)
Hinzu kommt schließlich noch ein weiterer Aspekt, der m. E. bisher zu wenig beleuchtet wurde, nämlich die Bedeutung der Kunst in diesem Zusammenhang.(12)
In Jaspers’ Werk kommt dem Begriff der Chiffer eine ähnlich zentrale Bedeutung zu wie bei Tillich dem Begriff des Symbols. Breiten Raum widmet er diesem Begriff schon im dritten Band seiner Philosophie von 1932 (vgl. Ph III, 129-236), und seine letzte Vorlesung aus dem Sommersemester 1961 ist ebenfalls diesem Thema gewidmet.(13)
In seinem Werk Von der Wahrheit von 1947 spricht Jaspers zudem synonym von Chiffer und Symbol.(14)
Trotz vieler Gemeinsamkeiten zwischen der Symboltheorie Tillichs und der Chiffernlehre von Jaspers scheint hier aber keinerlei gegenseitige Abhängigkeit vorzuliegen. So hat Jaspers von Tillich kaum Notiz genommen;(15)
seine Gesprächspartner auf theologischer Seite sind vielmehr Karl Barth(16)
und Rudolf Bultmann.(17)
Und auch Tillich kommt, von zwei Ausnahmen abgesehen, nur ganz selten und auch nur am Rande auf Jaspers zu sprechen.(18)
Etwas ausführlicher geht er auf dessen Denken in einem Beitrag über "Existenzphilosophie"(19)
von 1944 ein und in dem schon zu Anfang genannten Vortrag über "Heidegger and Jaspers"(20)
von 1954. Aber auch diese beiden Beiträge machen deutlich, dass Tillich sich mit Jaspers nicht tiefergehend auseinandergesetzt hat. Seine Diskussion ist auch hier recht oberflächlich, was man von seiner diesbezüglichen Auseinandersetzung mit Heidegger dagegen nicht behaupten kann.(21)
Ohne Zweifel finden sich – wie schon angedeutet – viele Gemeinsamkeiten zwischen Jaspers’ Chiffernlehre und Tillichs Symboltheorie, aber es gibt hier auch eine entscheidende Differenz, und um diese geht es mir in diesem Beitrag. Sie liegt in der jeweiligen Stellung zur Frage nach der analogia entis.(22)
Im Folgenden werde ich in einem ersten Schritt die Chiffernlehre von Jaspers darstellen, in einem zweiten sodann die Symboltheorie Tillichs darlegen, um schließlich in einem dritten Schritt die Differenz zwischen der Chiffernlehre von Jaspers und der Symboltheorie Tillichs aufzuweisen, eine Differenz, die sich an der jeweiligen Stellung zur Frage nach der analogia entis festmachen lässt.
Chiffer als Sprache der Transzendenz nach Karl Jaspers
Das Thema der Transzendenz nimmt im Werk von Jaspers einen breiten Raum ein, wobei zu unterscheiden ist zwischen der "universellen, uneigentlichen Transzendenz," Jaspers nennt hier Dasein, Bewusstsein überhaupt, Geist, Existenz, Welt, und der "eigentlichen Transzendenz" oder der "Transzendenz aller Transzendenzen" (VdW 109), also "Gott." Unser Interesse gilt hier nur dieser letzteren Form der Transzendenz. Sie ist nach Jaspers neben dem Begriff der Existenz das eigentliche Thema der Philosophie; ja Existenz und Transzendenz sind für ihn das "eigentliche" Sein. Jaspers unterscheidet Phänomene der Realität, Signa der Existenz und Chiffern der Transzendenz. Sind Phänomene der Realität allgemeingültig beschreibbar und damit Gegenstand des "Wissens", so haben Existenz und Transzendenz "keine ihnen eigentümlich zugehörende Erscheinung" (PGO 156), beide sind für Jaspers "ungegenständlich." "Existenz kommt nur in Erscheinungen der Immanenz sich zum Bewußtsein, Transzendenz selber aber erscheint nicht. An die Stelle ihrer Erscheinung tritt die Sprache der Chiffern" (PGO 156).
Transzendenz ist kein Gegenstand. Wie aber können wir dann überhaupt die Transzendenz denken oder über sie sprechen? Denn unser Denken und Sprechen ist notwendig gegenständlich (vgl. PGO 124).(23)
Aufgrund dieser paradoxen Einsicht entwickelt Jaspers eine Denkmöglichkeit, die durch diese Bedingtheit unseres endlichen Denkens gerade dadurch hindurchstößt, dass sie sein notwendiges Scheitern realisiert: "Unser endliches Denken," so schreibt er,
ist gebunden an Gegensätze. Wenn es denken soll, was über allen Gegensätzen ist, dann scheitert es an den Gegensätzen. Aber durch dieses methodisch vollzogene Scheitern wird die Transzendenz getroffen. Eine logische Sprache dringt, sich selbst preisgebend, über das Logische hinaus. (...) Die Einsicht in das Wesen des menschlichen Denkens und der Gegenstände menschlicher Denkbarkeit als gespalten in Gegensätze erlaubt den denkenden Aufschwung zu Gott in den Gestalten der Undenkbarkeit. (PGO 391)
"Formales Transzendieren" nennt Jaspers diese Denkbewegung, der gerade im Realisieren des Scheiterns endlichen Denkens in Bezug auf das Unendliche der Aufschwung, wenn auch nur im Gedanken, gelingt.
Wir können stets nur in Kategorien wie Sein, Wirklichkeit, Realität, Substanz, Materie, Wesen, Grund, Ursprung, Ewigkeit, Unzerstörbarkeit, Nichts u.ä. denken, die alle für Jaspers immer einen gegenständlichen Sinn haben. Wird das Transzendente mit diesen Kategorien benannt, so ist es doch schon zugleich verfehlt, da es in keiner Kategorie steht. Mit den Kategorien müssen wir über die Kategorien hinaustranszendieren in das Ungegenständliche, in das Unbestimmbare, in das Undenkbare. Wird das Transzendente, das in keiner Kategorie steht, in Kategorien gedacht, so muss sogleich paradox das Kategoriale wieder rückgängig gemacht werden:
Das Denken kann seinen letzten transzendierenden Schritt nur in einem Sichselbstaufheben vollziehen. (Ph III, 38)
In dieses "Rückgängigmachen" wird der eigentliche Akzent verlegt, wodurch das Absolute in seiner "überwältigenden Unfaßlichkeit" (Ph I, 51) hervorgeht:
Das Resultat solchen Transzendierens als aussprechbarer Satz besteht in Negation. Alles Denkbare wird zurückgewiesen als nicht gültig von der Transzendenz. Transzendenz darf durch kein Prädikat bestimmt, in keiner Vorstellung zum Gegenstand, in keinem Schluß erdacht werden, doch sind alle Kategorien verwendbar, um zu sagen, das Transzendente sei nicht Quantität noch Qualität, nicht Beziehung noch Grund, nicht Eines, nicht Vieles, nicht Sein, nicht Nichts usw. (Ph III, 38f.)
Das Denken der Transzendenz scheitert notwendig. Denn immer spricht dieses Denken ein Etwas aus; es gebraucht notwendig Kategorien, allgemeine Formen des Denkbaren. Damit aber wird die Transzendenz rational und endlich (vgl. PGO 395). Das Göttliche entschwindet so dem Denken, weil das Denken dasjenige notwendig in Bestimmungen denkt, was selbst bestimmungslos ist. Transzendieren kann somit nicht bedeuten, dass wir auf Kategorien verzichten – denn um das "darüber hinaus" vollziehen zu können, muss gedacht werden – sondern nur, dass wir uns von diesen Kategorien nicht fangen lassen, dass wir mit ihnen über sie hinausgelangen, sogleich aber auch wieder in sie zurückgleiten. Gefangen in unseren formalen Denknotwendigkeiten bleiben wir zwar immer in diesen Fesseln, kommen aber gerade dadurch auch wiederum aus ihnen heraus, indem wir sie durchschauen (vgl. PGO 232f.).
In diesem Sinne kann die Transzendenz sowohl als das Überseiende als auch als das Nichtseiende bezeichnet werden (vgl. VdW 109). In dem Begriff des Überseienden kommt zum Ausdruck, dass jede Seinskategorie dem Transzendenten inadäquat ist, dass es dadurch herabgezogen würde in eine partikulare Immanenz; in dem Begriff des Nichtseienden, dass das Sein der Transzendenz in keiner Kategorie steht, die ein Sein bedeutet.
Für den Verstand ist es eine Voraussetzung, erklärt Jaspers, dass alles, was ist, auch gegenständlich und wissbar ist (vgl. Ph I, 30). Demgegenüber aber ist Gott nirgends in der Welt zu finden,
[Er] entzieht sich der Leibhaftigkeit und der Anschauung. Seine Wirklichkeit ist nicht Realität in Raum und Zeit. Sein Dasein ist nicht nachzuweisen. Seine Wirklichkeit muß, wenn sie ist, von einem radikal anderen Charakter sein als alle Weltrealität. Aus dem Gottesgedanken entwickelt sich keine Wissenschaft als allgemeingültige Erkenntnis von Gott, die den Gegenstand "Gott" zu erforschen vermöchte. Denn für das Wissen gibt es keinen Gott. (PGO 233)
Jaspers schränkt den Begriff des Wissens auf den des gegenständlichen Wissens ein. Er sagt ausdrücklich: "Wissen trifft Endliches in der Welt." (Ph II, 281) Und: "Was aufzeigbar oder zu beweisen ist, ist endliche Einsicht in ein Besonderes." (Ph III, 17) Transzendenz aber ist im Sinne dieses Seins nicht da. Dahinter steht die Auffassung, dass der alte Gegensatz von Vernunft- und Glaubenserkenntnis durch die moderne Dreigliederung von Wissenschaft, Philosophie und Theologie abgelöst ist (vgl. PGO 95-110). Wissen gehört jetzt allein dem Bereich der Wissenschaften an. In dieser bewussten Absetzung von der wissenschaftlichen Weltorientierung wird Gott wesentlich als das Nicht-Gegenständliche, Nicht-Wissbare, Nicht-Zwingende und Nicht-Allgemeingültige bestimmt. Denn für Jaspers muss eine ontologisch konzipierte Allgemeinheit des Seins der Transzendenz, die für jedermann gültig wäre, unmöglich erscheinen. Die Wahrheit der Transzendenz ist demgegenüber vielmehr geschichtlich, darum nicht universal; sie ist unbedingt, darum nicht allgemeingültig (vgl. Ph III, 23f.).
Die im formalen Transzendieren erscheinende Transzendenz bleibt ohne Bestimmung. Von diesem Sein lässt sich nach Jaspers nichts weiter aussagen "als der formale tautologische in möglicher Erfüllung unergründliche Satz: es ist, was es ist" (Ph III, 67); was an Heideggers bekannte Formulierung erinnert: "Doch das Sein – was ist das Sein? Es ist es selbst."(24)
Im formalen Transzendieren bleibt die Gottheit schlechthin verborgen.
Sein ist für uns aber immer nur wirklich, sofern es im Dasein zur Sprache kommt. Ein bloßes Jenseits ist leer und so gut, als ob es nicht wäre. Aus diesem Grund fordert die Möglichkeit der Erfahrung "eigentlichen Seins" nach Jaspers "immanente Transzendenz" (Ph III, 136). "Chiffer"(25)
ist in diesem Sinne das Sein, das die Transzendenz zur Gegenwart bringt, ohne dass dadurch aber die Transzendenz Sein als Objektsein werden müsste. Chiffer ist aber nicht als sie selbst die Transzendenz, sondern nur deren Sprache (vgl. Ph III, 129).
Während es beim formalen Transzendieren, d.h. bei der Vergewisserung der Transzendenz im Scheitern des Denkens, um eine formale Denkstruktur ging, geht es jetzt um die "Gegenwart der Transzendenz" (Ph III, 35). Jaspers spricht darum hier auch von einem "gehaltvollen Transzendieren" (VdW 1031). Das formale Transzendieren und das gehaltvolle Transzendieren gehören aber zusammen. Während in einem ersten Schritt, dem formalen Transzendieren, der Aufschwung zum Transzendenten gelingt, der Weg also vom Welthaften ins Gegenstandslose verläuft, setzt in einem zweiten Schritt der umgekehrte Weg ein: Das gehaltvolle Transzendieren bedeutet in diesem Sinne eine neue Rückkunft auf die Welt, eine Rückkunft in eine neue, verwandelte Gegenständlichkeit – in die Welt der Chiffern. Aber auch die Chiffern-Sprache offenbart die Gottheit nicht. Der Gott bleibt nach Jaspers auch hier schlechthin verborgen (vgl. Ph III, 127). Die "Was"-Frage wird im "Erhellen" letztlich doch nicht "erfüllt". Ja, "Erhellen" meint eben gerade "nicht fixieren."(26)
Aus der erkenntnistheoretischen Situation menschlichen Denkens, das sich notwendig in dem Schema von Subjekt und Objekt bewegt, ohne welches wir bewusstlos wären und nicht mehr dächten, folgt, dass wir die Transzendenz in Gedanken nicht angemessen erreichen können. Denn machen wir Gott zum Objekt, so machen wir ihn zum Götzen: "Dies Tun heißt Aberglaube." (PGO 137) Dadurch aber, dass wir diese Schwierigkeit durchschauen, eröffnet sich für uns sogleich eine neue Möglichkeit, sinnvoll über das Transzendente zu sprechen. Wohl in Anspielung auf das platonische Höhlengleichnis sagt Jaspers pointiert: "Wenn das Gefängnis erkannt, gleichsam auch von außen gesehen wird, ist es selber durchstrahlt." (PGO 136) So fordert er, die vermeintliche Leibhaftigkeit des Transzendenten "als täuschende Realität" preiszugeben zugunsten des Hörens der vieldeutigen Sprache der Chiffern (PGO 154). Denn jede Weise der Leibhaftigkeit des Transzendenten bedeutet nach Jaspers "eine Trübung der Reinheit Gottes" (PGO 488).
Chiffern sind somit keine erkennbaren objektiven Gegenstände; sie entziehen sich allgemeingültiger Erfahrung und Verifizierbarkeit. Der Inhalt der Chiffern ist weder als Realität noch als zwingendes Wissen zu behandeln. "Chiffern sind nie die Wirklichkeit der Transzendenz selber, sondern deren mögliche Sprache." (PGO 155) Die Transzendenz erscheint selbst nicht – sie bleibt verborgen. "An die Stelle ihrer Erscheinung tritt die Sprache der Chiffern." (PGO 156) Das Leibhaftigwerden der Transzendenz ist nach Jaspers geradezu die Grundverwechslung in unserem Umgang mit der Transzendenz. "Wird so die Wirklichkeit der Transzendenz eingefangen in die Realität, dann geht sie selber uns verloren." (PGO 163) Es ist die Gottheit selbst, die Jaspers dazu treibt, jede Leibhaftigkeit preiszugeben.
Alles, was ist und was von Menschen hervorgebracht wird, kann nach Jaspers Chiffer werden: Reales, Vorgestelltes, Gedachtes (vgl. PGO 193). Chiffern sind aber "keine neuen Gegenstände", sondern "neu erfüllte Gegenstände" (VdW 1043). Wird so aber Chiffersein nicht zu etwas Beliebigem? Wenn man hier den von Jaspers verwendeten Begriff der wissenschaftlichen Weltorientierung zum Maßstab nimmt, muss diese Frage sicherlich mit Ja beantwortet werden. Nicht aber, wenn es um die Transzendenz selbst geht. Denn "als ausgesprochene in ihrer Objektivität" ist die Chiffer für Jaspers "ein Spiel, das keinen Anspruch auf Geltung macht"; "für mich selbst ist sie kein bloßes Spiel" (Ph III, 151): Was Chiffer ist und wie, entscheidet Existenz (vgl. Ph III, 170).
Die Chiffern Jaspers’ sind somit nicht ungeschichtlich, nicht allgemein, nicht ohne Substanz. Allein es genügt, die Chiffern in ihrer Vieldeutigkeit zu halten, sie nie eindeutig werden zu lassen. Denn nach Jaspers ist es gerade die Eindeutigkeit der Zeichen, die die Verborgenheit Gottes aufhebt (vgl. PGO 174).
Die Chiffern erlöschen in dem Moment, wo sie fixiert werden; zur Bewahrung ihres Lebens bedürfen sie darum der Schwebe (vgl. VdW 1031f.). In diesem Schweben weisen die Chiffern aber gleichzeitig über sich hinaus auf den Grund der Dinge, "auf das, was das 'Sein', das 'Nichts', das 'Sein-Nichts', das 'Übersein', das 'vor allem Sein', das 'Jenseits allen Seins' heißt, und seit Jahrtausenden im Philosophieren berührt wird" (PGO 210).
Doch stellt sich nun folgende Frage: Vernichtet nicht der Anspruch der Ungegenständlichkeit und der Bildlosigkeit der Transzendenz alle Chiffern-Sprache? Chiffern-Sprache ist selbst noch kein Götzendienst – wenn auch hier die Forderung des biblischen Bilderverbots letztlich nicht erfüllt wird, ja nicht erfüllt werden kann wegen unserer menschlichen Natur, wie Jaspers hervorhebt (vgl. PGO 385). Denn Philosophie weiß hier, was sie tut. Götzendienst liegt erst dann vor, wenn der weitere Schritt getan wird, wenn die Bildhaftigkeit zur Leibhaftigkeit wird, wenn das Gegenständlichwerden der Transzendenz nicht unendliche Sprache, also schwebend und verschwindend bleibt, sondern Gott zum Objekt gemacht wird, "wenn man dem Bilde erweist, was nur der Wahrheit zukommt" (PGO 391). Die Chiffer versteht sich demgegenüber nur als "Wegweiser." "Keine Chiffer ist die letzte, nicht die eine und einzige" (PGO 210). Und doch kann das "Erfassen der Transzendenz in immanenter Erscheinung" "augenblicksweise" so aussehen wie eine "Materialisierung" (Ph III, 18), da die "Gestalt als vorübergehende Form für die Erscheinung der Transzendenz" unausweichlich ist (Ph III, 39).
Aus der Vieldeutigkeit der Chiffern folgt, dass es kein objektives, neutrales Verstehen der Chiffern gibt. Vielmehr erweist sich alles Interpretieren von Chiffern "als Zeugnis vom eigenen Erfahren der Chiffern" (PGO 188). Die Chiffern sind "allgemein unlesbar", müssen vielmehr "existentiell entziffert" werden (Ph I, 33).
Was bedeuten diese Überlegungen für die Vorstellung von einem persönlichen Gott? Das Ich des Menschen kann dem Du Gottes ja nur gegenüberstehen, wenn dieser als persönlich gedacht wird. Hier aber wehrt Jaspers sogleich ab: Eine Identifizierung von Transzendenz und persönlichem Gott wird strikt abgelehnt. Die Personalität eines Du ist für Jaspers mit der Transzendenz keineswegs identisch (vgl. PGO 219). Ist das Transzendente für Jaspers damit weniger als Person?
"Nur im Menschen kennen wir Persönlichkeit", schreibt Jaspers.
Das Personsein ist in der Welt eine einzige, nur menschliche, allen anderem Weltsein gegenüber ausgezeichnete Realität. Personsein aber ist nur als Beschränktsein möglich. Sie bedarf einer anderen Person. Denn Person ist nur mit Person. Allein für sich kann sie gar nicht zu sich selbst kommen. Die Transzendenz aber ist Ursprung der Persönlichkeit, selber mehr als sie und nicht wie sie beschränkt. (PGO 224)
Auch der Versuch, Gott als die eine, einzige, sich selbst genügende Personalität zu denken, ist nach Jaspers unangemessen. Denn auch hier wird Gott verendlicht durch Aussagen über ihn als eine Persönlichkeit mit Eigenschaften (vgl. PGO 236).
Im Personsein wird die Transzendenz nach Jaspers geradezu erniedrigt zu dem, was der Mensch ist. Das Transzendente als Ursprung des Personseins des Menschen kann aber niemals weniger sein als Person, sondern immer nur mehr (vgl. PGO 220). In diesem Sinne ist es angemessener, von der "überpersönlichen Transzendenz" zu sprechen (PGO 373).
Auch wenn die Gottheit sich dem Menschen also als Person naht, so macht das aber nach Jaspers die Gottheit nicht selber zur Person. In diesem Sinne ist Jaspers’ Transzendenz zu vergleichen mit dem unbewegten Beweger des Aristoteles oder der Gottheit des Spinoza; beide werden zwar vom Menschen geliebt, aber sie lieben nicht wieder.(27)
Diese Überlegungen zur Chiffer des persönlichen Gottes machen nun auch deutlich, was Jaspers mit der aus der Tradition der Mystik übernommenen Unterscheidung zwischen Gott und Gottheit, zwischen deus und deitas zu verdeutlichen sucht. "Gott (deus) ist die Form, in der die überpersönliche unfaßbare Gottheit (deitas) zum Menschen hingewendet ist." (PGO 224) Deitas bedeutet in diesem Sinne also nicht weniger, sondern immer mehr als deus. "Wird die deitas zu denken versucht," schreibt Jaspers, "so gerät sie in allgemeine Kategorien wie Substrat, Substanz und dergleichen, und schließlich in die allgemeine und leerste Kategorie des ganz Anderen. Sie ist vergeblich gedacht, denn sie entzieht sich, wie aller Gestalthaftigkeit, so auch aller Denkbarkeit. Und doch ist sie die eigentliche Wirklichkeit der Transzendenz. Wir aber müssen leben in der Spannung: diese eigentliche Wirklichkeit berühren zu wollen und doch in Gedanken und Vorstellung immer nur die Chiffern zu finden" (PGO 224f.).
Selbst Gott ist in diesem Sinne eine Chiffer,(28)
die Gottheit oder das Transzendente dagegen selbst ist keine Chiffer, sie ist das "Jenseits aller Chiffern"(29)
auf diese aber sind wir in der Sprache der vieldeutigen Chiffern bezogen: Sie ist nicht denkbar und muss doch gedacht werden. Aber selbst ein Begriff wie der des "Jenseits aller Chiffern" trifft nach Jaspers das Transzendente nicht. "Es kann nur gedacht werden um den Preis, es dadurch im Denken zugleich zu verlieren." (PGO 417) Das Denken der philosophischen Spekulation ist somit letztlich das Denken, das sich selbst aufhebt. Unsere Aufgabe in der Situation des Menschen besteht aber nicht darin, die verbotenen Aussagen zu unterlassen, "sondern im Verbotenen durch Aufhebung der eigentlich radikal verbotenen Fixierung uns zu bewegen" (PGO 487).
Von hier aus wird verständlich, dass Jaspers sich entschieden gegen Bultmanns Entmythologisierungsprogramm wenden muss, er ihm aber gleichzeitig den Vorwurf machen kann, seine Entmythologisierung nicht zu Ende geführt zu haben aufgrund eines Willküraktes seines Glaubens. "Im Ganzen aber," so urteilt Jaspers zusammenfassend,
raubt uns diese Entmythologisierung alle Mythenwelt, das heißt das Reich der Chiffern überhaupt, nimmt unserer Existenz die Sprache der Transzendenz in ihrem ganzen Reichtum und ihrer Vieldeutigkeit. (PGO 431)
Die Chiffern-Sprache offenbart die Gottheit also letztlich auch nicht. Der Gott bleibt – trotz Chiffern – schlechthin verborgen, schlechthin unerkannt, absolut transzendent.(30)
"Was Gott ist", so Jaspers lapidar, "werde ich nie erkennen." (Ph III, 123) "Es ist genug, daß Gott ist." (PGO 360) Chiffer-Sein bedeutet somit immer nur Gottes Gegenwart – nicht seine Erkennbarkeit.
Spätestens an dieser Stelle drängt sich aber die Frage auf: Sagen uns die Chiffern denn nichts über Gott aus? Jaspers scheint sich selbst mit diesen Aussagen in der Tradition der Negativen Theologie zu sehen (vgl. PGO 213). Ob sich aber das Denken von Jaspers so mühelos in diese Tradition einordnen lässt, wie das auch die Literatur fast einmütig behauptet,(31)
ist mehr als fraglich. Denn die klassische Negative Theologie geht ja – trotz aller Negationen – davon aus, dass Gott z.B. das Attribut der Weisheit, der Güte, der Einheit, der Personalität usw. wirklich, d.h. "an sich" zukommt. In dem Nicht-Wissen der Negativen Theologie ist also immer ein gewisses "Wissen" enthalten.
Das scheint aber bei Jaspers nicht der Fall zu sein. Denn im Hinblick z.B. auf das Attribut der Personalität schreibt Jaspers:
Persönlichkeit des Menschen ist für uns die höchste Gestalt der Wirklichkeit in der Welt, die uns begegnet, und die wir selbst sein können. Darum ist sie die Form, in der die Gottheit anzuschauen nahe liegt. Aber auch das Höchste in der Welt ist Weltsein. Es auf Gott zu übertragen, ist grundsätzlich nicht wahrer als irgendeine andere Übertragung von Weltsein auf Gott (...). Alle Gedanken, die Gott als (...) Persönlichkeit denken, (...) bedeuten keine Einsicht in die Wirklichkeit und scheinen (...) frevelhaft.(32)
Für Attribute wie Weisheit, Güte, Einheit usw. trifft natürlich dasselbe zu. In diesem Sinne sind für Jaspers Aussagen wie die von der Personalität Gottes kein Wissen über Gott, sondern vielmehr "chiffriertes Selbstverständnis der Existenz," wie Hommel treffend formuliert.(33)
Nach Jaspers haben die "vermeintlich spezifischen Kategorien des Übersinnlichen" ihre Quelle ausnahmslos in der Immanenz, und ihre Übertragung auf Transzendenz bringt eine "fälschliche Erkenntnis" hervor.(34)
Letztlich steht hinter dieser Auffassung von Jaspers die kategorische Ablehnung des philosophischen Analogiegedankens, wie ihn Platon erstmals entwickelt hat.(35)
Analogie ist für Jaspers "ein die Gottheit verschleierndes und beschränkendes Näherbringen, eine Abmilderung des Ernstes seiner Verborgenheit". "Das Denken der Gottheit durch Analogie ist immer ihre Verweltlichung,"Analogie ist für Jaspers "ein die Gottheit verschleierndes und beschränkendes Näherbringen, eine Abmilderung des Ernstes seiner Verborgenheit". "Das Denken der Gottheit durch Analogie ist immer ihre Verweltlichung,"(36)
heißt es in lakonischer Kürze. Damit scheint aber der Rede von Gott als Ursprung des Personseinsbei Jaspers keinerlei Erkenntniswert zuzukommen.
Kommt unseren Aussagen über Gott aber nicht der geringste positive Erkenntniswert zu, dann stellt sich die Frage, mit welchem Recht ich die Existenz Gottes noch annehmen kann. Denn die Existenz Gottes annehmen, setzt doch voraus, dass man irgendeinen Begriff, und das heißt letztlich, irgendeine positive Erkenntnis von diesem Gott hat. Hier scheint die Position von Jaspers widersprüchlich, denn das Dass Gottes steht für ihn außer Frage. Für das Dass Gottes stützt sich Jaspers aber nicht auf eine natürliche Gotteserkenntnis etwa im Sinne der Gottesbeweise, auch nicht auf Kants Postulat der praktischen Vernunft, erst recht nicht auf die von ihm abgelehnte positive Offenbarung, sondern auf das Bewusstsein der eigenen Freiheit.In der Freiheit erfahre ich nach Jaspers die Transzendenz, durch die diese sich geschenkt weiß (vgl. PGO 118).
Was unterscheidet aber dann seine Position von derjenigen David Humes, wenn dieser sagt: "Nicht das Dasein, sondern die Natur Gottes steht in Frage. Und von dieser behaupte ich, daß sie infolge der Schwachheit des menschlichen Verstandes uns völlig unbegreiflich und unbekannt ist."(37)
Und weiter heißt es bei Hume: "Aber wir wollen uns hüten zu denken, daß unsere Vorstellungen irgendwie seinen Vollkommenheiten entsprechen, oder daß seine Eigenschaften irgendeine Ähnlichkeit mit denselben Eigenschaften an Menschen haben."(38)
In dem Nachlassband zu seiner Philosophischen Logik wird deutlich, dass das letztlich auch die Position von Jaspers ist. Unter der Überschrift "Analogie, Symbol, Chiffer" heißt es hier:
Wir denken durch Analogie die Transzendenz. Das heißt, daß wir transzendierend durch Übertragung eines Verhältnisses in der Welt auf das absolute Sein ein Undenkbares scheiternd vollziehen, als ob das Unähnliche doch ähnlich wäre. Wie der Feldherr zum Heer, so verhält sich der Steuermann zum Schiff – in solcher Analogie wird Endliches mit Endlichem verglichen. Wie der Mensch als Person sich erkennend, liebend, gestaltend zu den Sachen verhält, so verhält sich Gott zur Welt – in solcher Analogie wird Endliches mit Unendlichem verglichen. Das scheitert, weil zwischen Endlichem und Unendlichem keine Ähnlichkeit, kein Verhältnis ist.(39)
Zwar bezieht das Jaspers hier auf die Analogie der Proportionalität, aber es betrifft zweifellos auch die Analogie der Proportion.(40)
Denn in demselben Band unterscheidet er unter der Überschrift analogia entis zwischen diesen beiden Formen der Analogie, um aber dann abschließend festzustellen:
Denkt man der Analogie nach, verliert man schnell, was man einen Augenblick zu haben glaubte: Was ist das Sein, worauf bezogen alles Seiende Sein ist? Ist es die Transzendenz? Wenn es die Transzendenz ist, wie ist dann der Bezug des Seienden auf dieses Sein der Transzendenz? Was ist das Sein des Verhältnisses, in dem alles Seiende übereinkommt? Ist das Sein darin äquivok, d.h. ein wesentlich Verschiedenes, das zufällig immer Sein genannt wird, – oder univok, d.h. dasselbe Sein? Gibt man die Antwort, die Analogie liege zwischen dem Äquivoken und dem Univoken: sie besage eine Ähnlichkeit des Seins in allem Seienden, sowohl die radikale Verschiedenheit, wie die völlige Gleichheit des Seins im Seienden würden das Sein aufheben – sei es in der Zerrissenheit oder sei es in der Indifferenz des Ununterscheidbaren –, so ist diese "Ähnlichkeit" ja nur eine andere Gestalt der Frage. Denn was ist diese Ähnlichkeit?(41)
Die Gefahr, die mit einer solchen Position, wie sie Jaspers vertritt, verbunden ist, beschreibt Eduard Spranger sehr treffend:
Dann scheint der Platz auf der Seite "Jenseits" wieder ganz leer zu werden; oder besser: Dort ist nichts, wovon der Mensch eine Ahnung, geschweige denn eine annähernd zutreffende Vorstellung haben könnte. Wir wären wieder bei dem "Unbekannten Gott" – wohlbemerkt: aus Pietät.(42)
Zu Hume besteht aber nun doch der Unterschied, dass sich der Mensch nach Jaspers im Transzendieren zur Gottheit hin in Chiffern bewegt. Diese Chiffern sind zwar vergeblich, wenn sie Gott selber sein wollen, aber sie lenken doch, je auf ihre Weise mehr oder weniger ansprechend, gleichsam den Weg.(43)
Das aber bedeutet letztlich, dass die Chiffern etwas über Existenz aussagen, nicht aber über Transzendenz. In diesem Sinne sagt Jaspers auch ausdrücklich:
Die Weise, wie der Mensch in den je besonderen Chiffern sich ansprechen läßt, wird Moment seines Lebens. Wie er die Chiffer Gottes denkt, nach diesem Bilde wird er selber. (PGO 249)
Das Symbol als Sprache der Religion nach Paul
Tillich
Heinz Zahrnt hat Recht, wenn er meint, man könne den Charakter einer Theologie daran erkennen, welche Präpositionen in ihr vorherrschen.(44)
So regiert bei Karl Barth das "über": Gott ist hiernach "über" der Welt. Barth geht es also um die Betonung der überweltlichen Gottheit Gottes. Demgegenüber ist es bei Tillich das "in": Gottes Wirklichkeit begegnet uns "in" der Welt, "in" und "durch" die Weltwirklichkeit wird der Grund sichtbar, wird das Göttliche transparent. Diesem "In-Sein" Gottes korrespondiert in Tillichs Denken erkenntnistheoretisch der Symbolbegriff.(45)
Für Tillichs Symboltheorie ist der Unterschied zwischen Symbol und Zeichen fundamental. Zwar haben Symbol und Zeichen gemeinsam, dass sie auf etwas hinweisen, das außerhalb ihrer selbst liegt, doch besteht der grundsätzliche Unterschied darin, dass Zeichen keinen Anteil haben an der Wirklichkeit und Mächtigkeit dessen, was sie bezeichnen. Symbole dagegen partizipieren an Sinn und Macht dessen, was sie symbolisieren. Da Zeichen nicht an dem partizipieren, worauf sie hinweisen, können sie aus Gründen der Zweckmäßigkeit in freier Vereinbarung ersetzt werden. Symbole dagegen lassen sich nicht beliebig ersetzen durch andere Symbole. Sie werden im Unterschied zum Zeichen "geboren" und "sterben," Zeichen werden dagegen eingeführt und wieder entfernt. Symbole entstehen und vergehen wie lebende Wesen. "Sie entstehen, wenn die Zeit reif dafür ist, und sie vergehen, wenn die Zeit über sie hinweggeschritten ist" (GW VIII, 140).
Woher aber stammen die Symbole? Tillich verweist hier im Anschluss an C. G. Jung auf das "kollektive Unterbewußte". Symbole werden hiernach nicht absichtlich erfunden, sondern sie entstehen in einer Gruppe, "die in diesem besonderen Symbol, diesem Wort, dieser Fahne oder was immer es sein mag, ihr eigenes Sein wiedererkennt". D.h. Symbole sterben in dem Augenblick, wo die innere Beziehung der Gruppe zu dem Symbol aufhört. "Das Symbol 'sagt' dann nichts mehr 'aus'" (GW V, 216).
Das Symbol eröffnet uns Wirklichkeitsschichten, die auf keine andere Weise sichtbar gemacht werden können. Damit Wirklichkeitsschichten eröffnet werden können, müssen auch die Schichten unserer Seele geöffnet werden. Diese Schichten unserer inneren Wirklichkeit müssen mit den Schichten der äußeren Wirklichkeit, die durch das Symbol eröffnet werden, korrespondieren. Jedes Symbol wirkt somit auf zweifache Weise: Zum einen öffnet es tiefere Schichten der Wirklichkeit, zum anderen öffnet es tiefere Schichten der Seele.
"Wie alle anderen decken die religiösen Symbole eine verborgene Wirklichkeitsschicht auf, die auf keine andere Weise sichtbar gemacht werden kann" (GW V, 216f.). Es handelt sich hierbei um die "Tiefendimension der Wirklichkeit selbst", nicht um eine Schicht neben anderen, sondern um die fundamentale, die allen anderen Schichten zugrunde liegt, die Schicht des Sein-Selbst. Weil die Dimension der letzten Wirklichkeit auch die Dimension des Heiligen ist, kann man die religiösen Symbole auch "Symbole des Heiligen" nennen. Die religiösen Symbole haben teil an der "Heiligkeit des Heiligen." "Doch Teilhabe ist keine Identität. Symbole sind nicht selbst das Heilige" (GW V, 217).
Adäquat ausdrückbar ist etwas nur, wenn es so begriffen wird, wie es begreifbar ist. Das ist aber im Falle Gottes nicht möglich, dazu ist unser menschlicher Intellekt viel zu endlich. Denn nur Gott selbst kann sich so begreifen, wie er begreifbar ist. Es besteht somit ein Abstand zwischen dem Ausdruck und dem, was ausgedrückt wird bzw. ausdrückbar ist. Tillich gibt hierzu ein schönes Beispiel:
In diesem Stein, diesem Baum, diesem Menschen ist unbedingte Wirklichkeit, ist Sein-Selbst; sie sind transparent im Hinblick auf das Unbedingt-Wirkliche; aber sie sind auch trübe und verhindern das Unbedingt-Wirkliche, durch sie hindurchzuscheinen. (GW IX, 358)
Symbolische Sprechweise meint also nicht adäquate Aussage. Da das wahrhaft Unbedingte den Bereich alles Bedingten unendlich weit hinter sich lässt, kann es von keiner Wirklichkeit unmittelbar und angemessen ausgedrückt werden. "Religiös gesprochen heißt das: Gott transzendiert seinen eigenen Namen" (GW VIII, 141).
Damit sind wir auch schon bei der ersten Schicht religiöser Symbole, nämlich der transzendenten, die über die empirische Wirklichkeit hinausgeht. Daneben kennt Tillich auch noch eine immanente Schicht religiöser Symbole, die sich innerhalb der uns begegnenden Wirklichkeit befindet. Das Wort "Gott" ist für Tillich das grundlegende Symbol der transzendenten Schicht.
Wiederum würde es völlig falsch sein zu fragen: Also dann ist Gott nur ein Symbol? Denn die nächste Frage müßte dann lauten: Ein Symbol wofür? Und darauf wäre nur eine Antwort möglich: Für Gott. "Gott" ist Symbol für Gott. (GW VIII, 142)
Nach Tillich müssen wir in unserer Gottesvorstellung zwei Elemente unterscheiden, nämlich einmal das Element der Unbedingtheit – dieses erschließt sich uns Tillich zufolge in unmittelbarer Erfahrung und ist an sich nicht-symbolisch – und zum anderen das konkrete Element, das unserer gewöhnlichen Erfahrung entnommen und symbolisch auf Gott bezogen ist (vgl. ebd.). So hat der Mensch, der z.B. Jahwe, den Gott Israels, verehrt, nicht nur ein unbedingtes Anliegen, sondern auch ein konkretes Bild dessen, was ihn unbedingt angeht. "Das ist der Sinn der scheinbar so paradoxen Feststellung, daß 'Gott' das Symbol Gottes ist" (GW VIII, 143).
Zur transzendenten Schicht religiöser Symbole zählen nach Tillich weiterhin die Attribute Gottes: dass er Liebe, Barmherzigkeit, Kraft ist, dass er allwissend, allgegenwärtig und allmächtig ist – und dass er Person ist. Es geht also hierbei um das, was über ihn ausgesagt werden kann. "Diese Attribute haben wir von unseren eigenen Eigenschaften entlehnt. Sie können daher nicht buchstäblich auf Gott angewandt werden" (GW V, 219). Was bedeutet das z.B. in Bezug auf das Prädikat "persönlich" oder "personal," wenn wir es auf Gott anwenden?
"Persönlicher Gott" bedeutet nicht, daß Gott eine Person ist. Es bedeutet, daß Gott der Grund alles Personhaften ist und in sich die ontologische Macht des Personhaften trägt. Er ist nicht: eine Person, aber er ist auch nicht weniger als eine Person. (...) Das Symbol "Persönlicher Gott" ist irreführend. (ST I, 283)
Das heißt nun aber nicht, dass Tillich einen "unpersönlichen" Gott annimmt. Für ihn ist das Sein Gottes "überpersönlich". "Aber 'überpersönlich' ist nicht 'unpersönlich'" (ST II, 18). Diese Darlegungen scheinen auf den ersten Blick denen von Jaspers sehr ähnlich zu sein,(46)
und doch, so wird sich zeigen, gibt es in dieser Frage eine wesentliche Differenz.
Ein letztes Element der transzendenten Schicht hat Tillich zufolge die Handlungen Gottes zum Inhalt: dass er die Welt geschaffen hat, dass er seinen Sohn gesandt hat, dass er die Welt vollenden wird. "In all diesen temporalen, kausalen und ähnlichen Ausdrucksweisen sprechen wir ebenfalls symbolisch von Gott" (GW V, 219). Ein buchstäbliches Verständnis würde hier Gott in die Welt des Bedingten einreihen, doch transzendiert er gerade die Kategorien wie Raum und Zeit.
Die immanente Schicht der religiösen Symbole umfasst schließlich die Schicht der Erscheinungen des Göttlichen in Zeit und Raum, die sogenannten Inkarnationen des Göttlichen, d.h. seine Manifestationen "in Dingen und Ereignissen, in einzelnen Menschen und Gemeinschaften, in Worten und Schriften" (GW VIII, 144). Obwohl diese selbst also Realitäten in der Welt sind, kann man sie nach Tillich doch auch als Symbole bezeichnen, da sie die Gegenwärtigkeit des Göttlichen in der Erscheinung vertreten. Fragt man bezüglich der religiösen Symbole: "Sind sie nur symbolisch?" so liegt dieser Frage nach Tillich die Auffassung zugrunde, als gäbe es etwas, das mehr sei als symbolisch, nämlich: "buchstäblich." Doch ist nach Tillich buchstäblich in religiösen Dingen nicht mehr, sondern gerade weniger als symbolisch.
Wenn wir von den Dimensionen der Wirklichkeit reden, die wir auf keine andere Weise als durch Symbole erreichen können, dann sind Symbole notwendig und allein adäquat und die Phrase "nur symbolisch" ist eine falsche Redeweise. Man kann sagen, "nur ein Zeichen," aber nicht "nur ein Symbol." (GW V, 220)
Die religiösen Symbole entstammen dem unbegrenzten Material der erfahrbaren Wirklichkeit. In der Geschichte der Religion sind fast alle Formen des Daseins irgendwann einmal zum Symbol geworden. Dies ist nach Tillich möglich, weil ja letztlich alles Endliche auf dem letzten Seinsgrund ruht. Grundsätzlich kann alles Wirkliche zum Symbolträger werden, alles von Gott Geschaffene kann zum Träger des Heiligen werden. Die Auswahl des Materials hängt von dem speziellen Verhältnis des menschlichen Geistes zu seinem letzten Seins- und Sinngrund ab. Die anscheinend verschlossene Tür zum Chaos der religiösen Symbole kann man nach Tillich aber öffnen, wenn man sich die Frage stellt, welche Beziehung diese Symbole zum Unbedingten haben, das durch sie symbolisiert wird.
Dann hören sie auf, phantastisch und unverständlich zu sein, sie werden die aufschlußreichsten, echtesten und mächtigsten Schöpfungen des menschlichen Geistes, die das Bewußte, vielleicht sogar das Unbewußte im Menschen beherrschen und die deshalb die gewaltige Beharrlichkeit haben, die für alle Symbole in der Religionsgeschichte charakteristisch ist. (GW V, 217)
Die Religion kennt nach Tillich keine andere Sprache als die des Symbols. Wer hierauf die oben genannte Frage: "Nur ein Symbol?" stellt, beweist damit, dass er den entscheidenden Unterschied zwischen Zeichen und Symbolen nicht kennt. Die Macht der Symbolsprache übertrifft nach Tillich gerade an Tiefe und Kraft die Möglichkeit jeder nicht-symbolischen Sprache. Aus diesem Grunde sollte man statt "nur ein Symbol" sagen: "Nichts Geringeres als ein Symbol" (GW VIII, 142). Der Symbolcharakter tut der Wahrheit keinen Abtrag, ganz im Gegenteil, er ist hier gerade eine Bedingung der Wahrheit. "Unsymbolisch über das Sein-Selbst zu sprechen, wäre unwahr" (GW XI, 133).
Symbole können nach Tillich von der empirischen Kritik nicht angetastet werden, da man ein Symbol nicht dadurch zerstören kann, dass man es mit naturwissenschaftlichen oder historischen Kategorien kritisiert. Dies ist die negative Aussage. Das positive Wahrheitskriterium beschreibt Tillich wie folgt: "Die Wahrheit der Symbole liegt darin, daß sie der religiösen Situation, in der sie entstanden sind, entsprechen", d.h. "sie werden unwahr, wenn sie in einer Situation gebraucht werden, der sie nicht mehr entsprechen" (GW V, 222). Wann aber entsprechen religiöse Symbole einer bestimmten Situation? Tillich nennt hier zwei Momente: die Authentizität und die Angemessenheit.
Ein Symbol ist authentisch, wenn es eine lebendige religiöse Erfahrung ausdrückt, und es ist nicht-authentisch, wenn es diese Erfahrungsgrundlage verloren hat und sein Weiterbestehen nur noch der Tradition und seiner ästhetischen Wirkung verdankt. (GW V, 243)
Von hier aus wird auch verständlich, wenn Tillich den existentiellen und dynamischen Charakter der Symbole betont (vgl. GW XII, 317).
Das Moment der Authentizität ist notwendig, aber nicht hinreichend, denn es beantwortet noch nicht die Frage nach der spezifischen Wahrheit eines bestimmten Symbols. Diese Frage wird erst beantwortet durch das Moment der Angemessenheit. Es ist danach zu fragen, ob das Symbol das im Symbol Gemeinte angemessen zum Ausdruck bringt. Die Frage der Angemessenheit kann negativ und positiv beantwortet werden:
Negativ erweist sich seine Angemessenheit dadurch, daß es sich selbst in seiner Konkretheit negiert und dadurch für das, worauf es hinweist, transparent wird. Positiv erweist sie sich durch die Art des symbolischen Stoffs. (Ebd.)
Ein Symbol ist also um so wahrer, je mehr es der Verabsolutierung und der wörtlichen Interpretation widersteht und je mehr es durch seine Selbstnegierung über sich hinausweist auf das Unbedingte. Was den Stoff angeht, so besteht eben ein Unterschied, ob ein religiöses Symbol seinen Stoff aus der anorganischen Natur, der organischen Natur oder aus dem Bereich des Geistigen entnimmt. Denn nur im letzten Fall enthält das Symbol alle Dimensionen der Wirklichkeit.
Tillich kämpft mit seinem Symbolverständnis gegen ein buchstäbliches Verständnis religiöser Dinge. Es geht ihm somit um eine "Deliteralisierung", nicht um eine Entmythologisierung, wie sie Bultmann gefordert hat. Denn eine solche würde nach Tillich die Religion ihrer Sprache berauben. "Der Glaube muß wiederentdecken (...), daß alles Religiöse symbolisch ist. 'Symbolisch' heißt dabei keineswegs unwirklich. Es bedeutet im Gegenteil: wirklicher als alles Wirkliche in Zeit und Raum" (GW XIII, 342). Ein buchstäbliches Verständnis von Worten und Begriffen in Bezug auf Gott würde ihn "herunterzerren auf die Wirklichkeit, die wissenschaftlich und praktisch erforscht werden kann" (GW XIII, 400).
Nicht die Mythen selbst, die großen Mythen der Bibel eingeschlossen, sind töricht, sondern die Menschen, die sie wörtlich nehmen und sie auf die Ebene wissenschaftlicher Aussagen und technischer Weltbewältigung stellen. (GW XIII, 471f.)
Vom Ewigen kann man nur in Bildern reden, die dem Zeitlichen entnommen sind. Auf Gott können wir eben nicht die Kategorien unserer endlichen Welt anwenden.
Der Mythos ist somit nach Tillich nicht ein primitives Weltbild, mit dem Bultmann ihn identifiziert, sondern "die notwendige und angemessene Ausdrucksform der Offenbarung" (EW IV, 93). "Mythen sind in jedem Akt des Glaubens gegenwärtig, weil die Sprache des Glaubens das Symbol ist" (GW VIII, 145). Hier wird deutlich, dass Tillich das Wesen des Mythos nicht nur aus der Periode des vollentwickelten und ungebrochenen Mythos entnimmt, der Göttergeschichte ist, sondern auch aus den Perioden des werdenden und gebrochenen Mythos.
Eine völlige Entmythologisierung ist nicht möglich. Wenn immer wir Aussagen machen über das Unbedingte und unsere Beziehung zu ihm, so müssen wir uns der Symbolsprache bedienen, also in Mythen sprechen. Selbst wenn wir das Symbol des "Falls" in anderen Worten auszudrücken suchen, bleibt doch die symbolische Redeweise unumgänglich. Der "Fall" ist ja nicht als Titel einer Geschichte zu verstehen, die sich "irgendwann einmal" in der Vergangenheit ereignet hat, sondern es ist der Versuch, etwas über die menschliche Situation auszusagen. Selbst wenn man – wie Tillich – versucht, für die Deutung dieses Symbols den Ausdruck "Übergang von der Essenz zur Existenz" zu gebrauchen, so ist dieser Ausdruck doch nicht als eine vollständige Entmythologisierung zu verstehen, auch wenn hier das Legendäre im Sinne des "Es war einmal" ausgeschieden wird. "Denn der Ausdruck 'Übergang von der Essenz zur Existenz' enthält noch ein zeitliches Element. Und wenn wir im Zeitschema von Gott-Mensch-Beziehungen sprechen, sprechen wir mythisch, selbst wenn abstrakte Begriffe wie Essenz und Existenz an Stelle mythischer Gestalten gebraucht werden" (ST II, 36). Tillich selbst sagt in der "Systematischen Theologie" von diesem Ausdruck: "Er ist sozusagen eine 'halbe Entmythologisierung' des Mythos vom Fall" (Ebd.). D.h. der Mythos ist nicht verschwunden, sondern durch einen anderen ersetzt, der vielleicht für die jetzige Zeit angemessener erscheinen mag und zum Verständnis dessen, was dieser Mythos vom "Fall" aussagen will, hilfreicher sein kann. In diesem Sinne kann man Tillichs ganze Theologie als eine "halbe Entmythologisierung" verstehen.
Die Stellung zur Frage nach der analogia entis als entscheidende Differenz zwischen
Jaspers und Tillich
Verschiedene Gemeinsamkeiten zwischen der Chiffernlehre von Jaspers und der Symboltheorie Tillichs fallen sofort ins Auge. (1) Chiffern und Symbole weisen auf etwas hin, das außerhalb ihrer selbst liegt. (2) Sie eröffnen Wirklichkeitsschichten, die auf keine andere Weise sichtbar gemacht werden können. (3) Prinzipiell kann alles zur Chiffer bzw. zum Symbol werden. (4) Die Sprache der Chiffern bzw. Symbole ist auf einer anderen Ebene angesiedelt als die Sprache der Wissenschaft. (5) Jaspers wie Tillich wenden sich darum zu Recht gegen Bultmanns Programm der Entmythologisierung. (6) Ebenso verbindet beide der entschiedene Kampf sowohl gegen ein buchstäbliches Missverständnis als auch gegen eine Verabsolutierung der Chiffern bzw. Symbole. Und (7) betonen beide auch deren existentiellen und dynamischen Charakter.
Bei all diesen Gemeinsamkeiten darf allerdings der entscheidende Unterschied zwischen Jaspers’ Chiffernlehre und Tillichs Symboltheorie nicht übersehen werden. Und dieser Unterschied liegt in der jeweiligen Stellung zur Frage nach der analogia entis. Wir haben gesehen, dass Jaspers ein entschiedener Gegner der analogia entis ist, was ihn mit Karl Barth verbindet. Jaspers wie Barth sind der Überzeugung, dass die analogia entis das Göttliche bzw. die Transzendenz verendlicht.
Der Einwand Karl Barths gegen die analogia entis ist allseits bekannt, und doch sei dieser hier noch einmal ausdrücklich genannt, da er in der Grundintention – bei aller sonstigen Differenz – mit dem Anliegen von Jaspers übereinstimmt. Ich halte die analogia entis für die Erfindung des Antichrist und denke, daß man ihretwegennicht katholisch werden kann", heißt es bei Barth. Und er fährt dann fort:
Wobei ich mir zugleich erlaube, alle anderen Gründe, die man haben kann, nicht katholisch zu werden, für kurzsichtig und unernsthaft zu halten.(47)
Bedenkt man nur, dass die abendländische Metaphysik nicht ohne die Analogie zu denken ist,(48)
ja dass das Analogiedenken geradezu als "Herzstück der Metaphysik" bezeichnet werden kann,(49)
so wird deutlich, dass sich diese Stoßrichtung mit der Ablehnung der analogia entis gegen die Metaphysik insgesamt wendet. Barths Angriffe gipfeln letztlich in dem Vorwurf,
hier vollziehe sich ein unerlaubter Griff nach Gott, eine Anmaßung der Kreatur gegenüber Gott, insofern analogia entis Gott und Geschöpf unter einen gemeinsamen Seinsbegriff fasse und von daher dem Geschöpf die Möglichkeit einräume, von seinem Sein aus auf Gott zu schließen.(50)
Barth bezeichnet dies als eine Hybris, ja als eine "trunkene Verwischung der Distanzen zwischen ihm und uns," als "Vergöttlichung des Menschen und Vermenschlichung Gottes."(51)
Demgegenüber betont er ja bekanntlich mit voller Leidenschaft die strikte Trennung zwischen Mensch und Gott, eine Trennung, die nicht von Seiten des Menschen aufgehoben werden kann. Nicht die analogia entis ist für Barth das Entscheidende, sondern die analogia fidei, welcher Begriff zum Ausdruck bringen will, dass die Überwindung der Trennung des Menschen von Gott allein durch Gott selbst vollzogen werden kann.
Dass Barth das Wesen der Analogie missverstanden hat, kann ich im Rahmen dieses Beitrages nur andeuten, aber nicht weiter ausführen. Jedenfalls ist die Analogielehre nicht so zu verstehen, dass Gott hier dem Seinsbegriff untergeordnet wird, sondern Gott ist das Sein-Selbst, das ipsum esse, und alles endliche, d.h. abkünftige Sein hat immer nur an diesem Sein-Selbst teil, und aufgrund dieser Teilhabe oder Partizipation erwächst die Möglichkeit analoger Rede von Gott, die sich abhebt von der univoken Redeweise einerseits und der äquivoken Redeweise andererseits.(52)
Diese Analogielehre, wie sie klassisch in der Proportions- oder Attributionsanalogie – und nicht der Proportionalitätsanalogie – des Thomas von Aquin ihre Ausprägung gefunden hat,(53)
geht letztlich auf die Aristotelische Pros-Hen-Aussage zurück.(54)
Wie gesagt, Jaspers' Kritik an der analogia entis ist im Prinzip derjenigen von Karl Barth ähnlich, wenn auch unter ganz anderem Vorzeichen. Denn auch nach Jaspers verendlicht die analogia entis das Transzendente, zieht es herab auf die Ebene des Bedingten. Und auch Jaspers richtet sich damit insgesamt gegen die klassische Metaphysik sowohl in Form der klassischen Ontologie(55)
als auch in Form der natürlichen Theologie.(56)
Das führt letztlich aber dazu, dass über das Transzendente keine objektiven Aussagen mehr möglich sind. An Jaspers' Erörterungen zur Chiffer des persönlichen Gottes wird das – wie ich gezeigt habe – unmissverständlich deutlich.
Und genau hier ist die entscheidende Differenz von Jaspers' Chiffernlehre gegenüber der Symboltheorie Tillichs zu sehen. Denn für Tillich sagt das Symbol "persönlicher Gott" schon etwas über Gott aus. Zwar warnt auch Tillich entschieden davor, Gott als "eine Person" zu begreifen (vgl. EW I, 203), und er macht auch zu Recht darauf aufmerksam, dass das Symbol "persönlicher Gott" in dieser Hinsicht irreführend sei (vgl. ST I, 283). Und doch kann Tillich – im Gegensatz zu Jaspers – formulieren: Gott "ist Person und die Negation seiner selbst als Person" (GW V, 184). Für Tillich sind nämlich "Sein und Person keine unvereinbaren Begriffe", denn Gott ist "das Person-Sein selbst", d.h. "Grund und Abgrund jedes Person-Seins" (GW V, 182).
Das, was es Tillich erlaubt, eine solche Aussage zu machen, eine Aussage, die für Jaspers nicht möglich wäre, hat mit dem zu tun, was er in seinem frühen Symbol-Aufsatz von 1928 als "Selbstmächtigkeit" bezeichnet (vgl. GW V, 196) bzw. dann später mit dem Begriff der Teilhabe oder Partizipation in Verbindung bringt (vgl. GW V, 214f.), wobei Teilhabe aber "keine Identität" bedeutet (GW V, 217).(57)
Der Begriff der Selbstmächtigkeit bzw. der Teilhabe ist es denn auch, wodurch sich nach Tillich Symbole, und damit auch religiöse Symbole, wesentlich vom bloßen Zeichen unterscheiden. Teilhabedenken ist aber im Grunde Ähnlichkeitsdenken, und Analogiedenken ist – wie Johannes Hirschberger(58)
gezeigt hat – seinem Wesen nach ebenfalls Ähnlichkeitsdenken. Auf diesen Zusammenhang von Teilhabedenken und analogia entis hat auch Tillich selbst ausdrücklich hingewiesen (vgl. ST I, 278).
Norbert Ernst hat zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass der Begriff der analogia entis erst in Tillichs amerikanischer Zeit virulent wird.(59)
Er ist ihm durch eine Kritik des amerikanischen Philosophen Wilbur M. Urban an seinem Symbolbegriff zugespielt worden.(60)
Tillich hat auf diese Kritik mit einem eigenen Beitrag reagiert.(61)
In Urbans Kritik an Tillich heißt es u.a.:
Ich bin der Meinung, dass, wenn es keine Analogie des Seins gibt zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf (...), es sinnlos ist, von religiösem Symbolismus oder religiöser Erkenntnis zu sprechen. (MW IV, 270)(62)
Tillich hat darauf geantwortet:
Ich anerkenne die klassische Lehre von der analogia entis. (...) Aber während ich die Methode der analogia entis anerkenne, muss ich jeden Versuch, sie als Mittel einer rationalen Konstruktion zu verwenden, ablehnen. Die symbolischen, affirmativen Begriffe von Gott, von seinen Eigenschaften und seinen Handlungen, drücken die konkrete Form aus, in der der geheimnisvolle Grund und Abgrund des Seins manifest wurde für ein Seiendes als sein unbedingtes Anliegen – in einem Akt, den wir "Offenbarung" nennen. Die speziellen Symbole sind abhängig von der konkreten Situation und Konfiguration, in der das Geheimnis des Grundes für uns erscheint. Die Erkenntnis Gottes, die aus einer solchen konkreten Manifestation des Unbedingten hervorgeht, ist wahr, selbst wenn sie eine relative, vorläufige oder entstellte Wahrheit ist. Aber es ist keine theoretische, sondern eine existentielle Wahrheit, d.h. eine Wahrheit, der gegenüber ich nicht die Rolle des Zuschauers einnehmen kann, der ich mich ausliefern muss, um sie zu erfahren. In diesem Sinne "bieten die Symbole kein objektives Wissen, sondern ein wahres Gewahrwerden," nämlich vom Grund des Seins, der nie ein Objekt für ein Subjekt werden kann, sondern der das Subjekt in das Objekt hineinzieht und auf diese Weise die Kluft zwischen beiden überwindet.(63)
(MW IV, 273f.)
In seiner "Würdigung" anlässlich des Todes von Carl Gustav Jung von 1961 beschreibt Tillich den Unterschied zwischen der analogia entis und der "symbolischen Ausdrucksweise" wie folgt:
Es besteht ein zweifacher Unterschied; er bezieht sich einmal auf die Entstehung der Symbole, zum anderen auf ihre Wandelbarkeit. Die Lehre von der analogia entis betont den rationalen Charakter der theologischen Aussagen über das Transzendente. Sie lassen sich stützen durch unbezweifelbare Argumente, und sie beziehen sich auf etwas, das an sich wahr ist, gleichgültig, ob jemand von dieser Wahrheit ergriffen wird oder nicht. Diese Auffassung hat eine weitere Folge: Die Lehre von der analogia entis ist ihrem Wesen nach statisch. Die Symbole, die aufgrund der Analogie geschaffen wurden, sind endgültig, weil die Subjektivität der Gruppe, die diese Symbole erlebt, am Entstehen der Symbole nicht beteiligt ist. Der Inhalt der Symbole ist etwas, was man wissen und lernen kann. Neue menschliche Erfahrungen bleiben ohne Einfluß auf sie. Im Gegensatz zu dieser rational-statischen Symbollehre der analogia entis ist das protestantische Symbolverständnis existentiell und dynamisch: Symbole entstehen aus Offenbarungserfahrungen von Individuen oder Gruppen, und sie vergehen, wenn diese Erfahrungen nicht mehr lebendig sind. Symbole sterben also, wenn sie nicht mehr Ausdruck von Offenbarungserfahrungen sind und infolgedessen ihre schöpferische Kraft verloren haben. (GW XII, 316f.)
Tillich bejaht also den Begriff der analogia entis als "Methode," nicht aber als "Hauptinstrument" einer "natürlichen Theologie," wobei er unter "natürlicher Theologie" eine Methode versteht, "durch rationale Schlüsse Gott zu erreichen." Er erklärt dazu:
Analogia entis kann ganz einfach die Tatsache bedeuten, daß wir, um von dem, was das endliche Sein überschreitet, reden zu können, uns einer Sprache bedienen müssen, die der Begegnung mit dem endlichen Sein entspringt. Wenn eine solche Sprache auf Gott angewandt wird, so wird sie dadurch zur analogen oder symbolischen Sprache – wie ich aus semantischen Gründen lieber sagen würde.(64)
(GW XII, 351)
Deutlicher kann die entscheidende Differenz von Tillichs Symboltheorie gegenüber der Chiffernlehre von Jaspers nicht zum Ausdruck gebracht werden. Hiervon einmal abgesehen, weist die Symboltheorie Tillichs mit der Chiffernlehre von Jaspers, wie ich gezeigt habe, auch recht viele Gemeinsamkeiten auf; eigens hervorgehoben sei noch einmal der existentielle und dynamische Charakter der religiösen Symbole bzw. der Chiffern. Von daher gesehen mag es vielleicht nicht ganz unzutreffend sein, die Symboltheorie Tillichs als zwischen der klassischen Analogielehre und der Chiffernlehre von Jaspers angesiedelt zu begreifen.
|