Die erste These betrifft ihre neuartig differenzierte Anthropologie und deren Konsequenzen für die Metaphysik; die zweite die Methodenlehre, die Kategorienlehre, und die Wissenschaftslehre; und die dritte These behandelt die Logik als einen Orientierungsrahmen für die Wissenschaftstheorie.
- Im Gegensatz zu allen systemphilosophischen und ontologischen Ansätzen fasst diese Logik in einer orientierenden Systematik verschiedene philosophische Strömungen (vor allem nach Immanuel Kant) zu einer synoptischen Metatheorie bezüglich der Spaltungsprozesse der Logikgeschichte zusammen. In ihr stehen die vier "Weisen des Umgreifenden" (von Gegenständen und Horizonten), in denen menschliche Praxis sich entfaltet (vorbewusstes Dasein, Bewusstseinseinsarten, geistig-kulturelle Leistungen und existentielle Entscheidungen), im Spannungsverhältnis zwischen Welt und Transzendenz. Damit wird der Raum für eine differenzierte Anthropologie eröffnet, in welchem sich die physisch-psychischen Grundfunktionen vollständig erfassen lassen.
- Ihre generelle wissenschaftsphilosophische Bedeutung beruht darauf, dass sie als allgemeine Logik von der Methoden-, Kategorien- und Wissenschaftslehre abgesetzt wurde, die in eigenen Bänden der Logik abgehandelt werden sollten. Sie versteht sich dadurch als Fundierung eines allgemeinen anthropologischen Grundwissens im Gegensatz zu deren Spezialwissen. Diese interkulturelle Bedeutung der philosophischen Anthropologie und der Achsenzeittheorie waren die Basis für sein Projekt, eine Weltphilosophie zu eröffnen.
- Ihre spezielle wissenschaftstheoretische Bedeutung für die interdisziplinäre Zusammenarbeit besteht darin, dass sie für die philosophische Kritik an Glaubenssystemen (Gottesbildern), Ideologien und wissenschaftlichen Theoremen verwendbar ist. Dieser von Jaspers als clavis clavium angesprochene praktische Aspekt ist für das Verständnis der ab 1935 erschienenen Werke unumgänglich.
In der neuzeitlichen Philosophiegeschichte nach Kant kam es zur Spaltung zwischen Idealismus (Gottlieb Fichte, F. W. J. Schelling, G. W. F. Hegel) mit den sich entfaltenden Geisteswissenschaften (Wilhelm Dilthey) und Positivismus. Letzterer wurde zum Ausgangspunkt von Ideologien. Ferner kam es zu den Sezessionen Existenzphilosophie (Søren Kierkegaard) und Lebensphilosophie (Friedrich Nietzsche). Diese Spaltungen lassen sich unter dem Gesichtspunkt zusammenfassen, dass jeweils einzelne vernachlässigte psychische Grundfunktionen auf der vorbewussten, bewussten, geistigen, und existentiellen Ebene die Kritik der Nachfolger provozieren mussten.
Die philosophische Logik von Jaspers ist mehr als eine orientierende Systematik. Als innovativer Psychiater und Therapeut sah er die geistige Situation der Zeit in Form von Dissoziationen, die zu diesen Spaltungsprozessen führten. Aufgabe der Vernunft sei es, eine annähernde Vollständigkeit psychischer Grundfunktionen anzustreben. So bemühte er sich als Philosoph um ein einheitliches Bild dieser Spaltungsprozesse, das heisst, um eine Synopse. Jaspers' Anliegen war, sich damit nicht nur von den systemphilosophischen Ansätzen der Idealisten und der Existentialontologie Martin Heideggers abzusetzen, sondern auch von allen neuzeitlichen ontologischen Ansätzen nach Kant (Nicolai Hartmann oder marxistischen Denkern wie Ernst Bloch und Georg Lukács), sowie deren theoretische Mängel zu vermeiden.
Grundlegende Voraussetzung dafür war, dass Jaspers fünf Aspekte der Philosophie unterschied: historische, sachliche, genetische (Herkunft der Philosophie aus Sprache und Dichtung, Mythos, Religion, und Wissenschaft), praktische, und dynamische (der geistigen Mächte und Fronten). Sie dürfen nicht vermischt werden, ergänzen sich aber in ihrer Trennung. Jaspers verfolgte mit diesem Werk nicht nur den sachlichen Aspekt der Philosophie, nämlich Fragenkataloge und Systematiken hinsichtlich der psychischen Funktionen zu entwickeln, sondern vereinigte dies auch mit dem historischen und dynamischen Aspekt der Philosophie, um die historischen Mentalitätsschichten der Ideengeschichte zu vergegenwärtigen. Hans Saner bewertete die philosophische Logik deswegen als eine Erforschung der Spaltungsprozesse der Logikgeschichte. Dadurch seien Logik und Geschichte zwei einander reflektierende Spiegel geworden. Saner schreibt diesbezüglich:
Die Logik wird hell in der Entfaltung der Geschichte; die Geschichte sinnvoll durch die Entfaltung der Logik.
Dieses postulierte spiegelbildliche Verhältnis von Logikgeschichte und Geschichtslogik kennzeichnet die philosophische Logik als Metatheorie. In ihr werden die emergent aufgetauchten psychischen Grundfunktionen des Menschen sowie die damit zusammenhängenden soziokulturellen Leistungsbilanzen als eine Folge von Symmetriebrüchen einer ursprünglich magischen Einheit aufgefasst. Die Quaternität des Physisch-Psychischen kann nun wie durch ein Prisma gebrochen erscheinen. Dessen Feinschliff ist Aufgabe der Aufklärer (Theorie), und der Erzieher und Therapeuten (Praxis).
Der Weg von Jaspers als Methodiker und Systematiker führte von der Psychopathologie der Dysfunktionen und der damit verbundenen Dissoziationen zu einer Synopse der Funktionen. Funktionen sind Aufgaben, die im Rahmen eines Ganzen zu lösen sind. Die Symmetriebrüche werden darin zu einem vierschichtigen Aufbau psychischer Funktionen, der in der Menschheitsgeschichte evolutionär gewachsen ist. Diese synoptische Zusammenfassung aller psychischen Grundfunktionen, diese Ausdifferenzierung der Anthropologie, kann erst den freien Raum für die Vernunft als Verbindungsmedium öffnen. Hannah Arendt hat den Ansatz der Jaspers-Logik bereits 1950 erkannt und von dem "ersten Wort einer Weltphilosophie" gesprochen. Dies setzt jedoch die Möglichkeit einer vernunftgeleiteten Kommunikation voraus. In Zuständen der Massengravitation wirkt eine soziale Hochenergiephysik: Jene Symmetriebrüche kollabieren zu totalitären Einheiten, die mit dualistischen Konzepten operieren und auf dem Freund-Feind Schema beziehungsweise auf Alles-oder-Nichts Entscheidungen basieren.
Für die alten Fragen der prima philosophia schlägt diese Logik einen neuartig "umwendenden Gedanken des Umgreifenden" vor. Jaspers erhellt:
Es ist ein uns gleichsam umwendender, weil uns aus jedem bestimmten Seienden wieder lösender und uns zur Umkehr aus jeder Verfestigung zwingender Gedanke. [VW 39]
Dieses Denken handelt von Gegenständen (des Bewusstseins) und den (vom menschlichen Geist als Wissen über relative Ganzheiten der Lebenswelt geschaffenen) variablen Horizonten, die mit uns Menschen mitwandern. Erst dieser Gedanke des Umgreifenden kann den offenen Raum für eine adäquat differenzierte Anthropologie erschließen. In ihm sind sieben logische Ebenen der Wirklichkeit mit einer wechselwirkenden Verschränkung von Gegenständen und Horizonten zu unterscheiden: Welt (Immanenz), Transzendenz, vorbewusstes Leben, drei Arten des Bewusstseins, komplexe geistige Funktionen, Existenz (Selbst) als Persönlichkeitskern, und die Vernunft als Verbindungsmedium die Vernunft.
Unter Miteinbeziehung des neuesten Wissenstandes in der Physik kann angenommen werden, dass diese Horizonte in der Mikrophysik mit den hypothetischen Elementarteilchen (Axion, X- und Y-Boson, oder dem Neutralino als supersymmetrisches Teilchen) beginnen und von den quantenmechanischen Tunneleffekten bis zur Makrophysik reichen. Gemäß der Darstellung von Carlo Rovelli also von den Horizonten der Schwarzen und Weißen Löcher bis hin zum kosmologischen Ereignishorizont. Anthropologisch betrachtet, bestimmen sie mit dem Gedächtnis und dem geographischen und historischen Wissenshorizont die Person.
In dieser Periechontologie wurde also zwischen Welt und Transzendenz eine Anthropologie eingebettet, welche auf den vier Weisen des Umgreifenden aufgebaut ist, die der Mensch ist (vorbewusstes Dasein, Bewusstsein, Geist, und Existenz) und die vom Medium der Vernunft verbunden werden. Fehlt eine dieser Weisen des Umgreifenden, fehlt es auch an Vernunft. Mit anderen Worten ausgedrückt, die anthropologische Grundfrage "Was ist der Mensch? Was unterscheidet ihn vom Tier?" wird dann unzulänglich beantwortet. Vernunft ist das Verbindungsmedium für diese vier psychischen Bereiche (oder Vermögen) des Menschen. Wer von instrumenteller oder gar zynischer Vernunft spricht, verfehlt sie und meint stattdessen den Verstand. Das Kennzeichen des Rationalismus ist, die den bloßen Verstand übersteigenden Grundfunktionen lediglich vage zu bezeichnen (als intuitiv, kreativ, ästhetisch, ethisch, religiös, und so fort).
Für diesen vierstufigen anthropologischen Teil der Logik und das neuartige Vernunftkonzept schlage ich die Kurzbezeichnung "differenzierte Anthropologie" vor. Gisela Gefken hat auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die der Begriff "Existenzphilosophie" bei Vertretern der philosophischen Anthropologie ausgelöst hat. Er betrifft eben nur die existentielle, für Jaspers wesentlich auf Transzendenz bezogene, Stufe.
Der Symmetriebruch zwischen vorbewusstem Dasein und Bewusstsein war Thema der neuen Tiefenpsychologie seit Sigmund Freud. Jaspers verwies jedoch auf den komplexen Zusammenhang zwischen verschiedenen Bewusstseinsarten, nämlich dem bewussten Erleben, dem musikalisch und sprachlich Ausdruck verliehen wird; dem rationalen (das heißt, messenden und berechnenden) Bewusstsein, das zur Subjekt-Objekt-Spaltung führt; und schließlich dem Selbstbewusstsein. Bei diesem gibt es verschiedene Spektren, und zwar auf der vorbewusst-vitalen Ebene sind es Haltungen, welche die Bandbreite vom Narzissmus bis zur Verzweiflung abdecken; auf der Verstandesebene gibt es ein identifizierbares Leistungsspektrum von der ökonomischen Planung bis zur Mathematik; des Weiteren gibt es Befähigungen im geistig-kulturellen Bereich sowie das existentielle Selbstbewusstsein als Grundlage einer selbstkritischen Vernunft.
Das Kennzeichen des rationalistischen Naturalismus ist ein Symmetriebruch, der dann geschieht, wenn sich das objektivierende Bewusstsein inflationär (aufblähend) verabsolutiert. Es ist hernach Aufgabe der basalen Vernunft, es wieder im Gesamtzusammenhang aller genannten Funktionen zu sehen.
Die Wahrheit des Umgreifenden manifestiert sich, so Jaspers, in drei Bewusstseinsarten (VW 64-7). Sie stehen in enger Korrelation zu den Gedächtnistypen: das bewusste Erleben (Innerlichkeit) beruht auf dem (frühkindlichen) Priming sowie dem autobiographischen Gedächtnis; das rationale Bewusstsein als gegenständliches Meinen (Wissen) basiert auf dem deklarativen Langzeitgedächtnis des objektiven Faktenwissens; das Selbstbewusstsein auf dem autobiografischen und historischen Gedächtnis.
Gemäss der neurowissenschaftlichen Forschung sind folgende komplexen geistigen Funktionen ausweisbar: Fantasie, Enthusiasmus, Musikalität, Humor und Ironie, intuitiv-synthetische Kreativität, und jene Identität und Urteilskraft welche die relevanten Werte von den irrelevanten scheidet. Die ästhetische Empfindung hat bereits Kant vom Fühlen unterschieden. Gemäss C. G. Jung kann sie als geistige Verarbeitung der mit dem bewussten Erleben verbundenen Vorstellungen, Gedanken, und Gefühle bezeichnet werden. Die daraus hervorgegangenen kulturellen Gestaltungen schufen als objektiver Geist eine neue Wirklichkeitsebene bei der Hominisation.
Aufklärung über Theokratien und historische Mentalitätsschichten (von den magischen Ursprüngen der Religionen bis zu den Ideologien) ist apollinische Bewusstseinsarbeit. Als basale Vernunft für die Individuation und höhere metaphysische Vernunft hat sie sich aber auch mit den dionysischen Schattenseiten, dem Willen zur Macht, zum Rausch, zur musikalischen Kreativität, zu den Phantasmagorien und Rollenspielen der sozialen Maskenbälle auseinanderzusetzen. Eine besondere Aufgabe wäre es denn auch, die alltagspraktische, künstlerische, technische und wissenschaftliche Bedeutung der verschiedenen Phantasieformen mit ihren Produkten, den Imaginationen, Fiktionen, und Hypothesen, als produktive beziehungsweise kompensatorische Kräfte den jeweiligen psychischen Funktionen zuzuordnen.
Auf der Grundlage der drei Bewusstseinsarten gibt es für Jaspers zwei weitere dialektische Formen des inneren Handelns: eine Form bezieht sich auf Wissen, Nichtwissen, und Wissenssynthesen (wie dem Gewissen), die zweite bezieht sich auf die dynamische Bewegung des absoluten Bewusstseins, Sicherungsversuchen (wie Kanon und Dogma), und Formen der Erfüllung (wie Freiheit, Glaube, und Liebe).
Die Vielfalt dieser Korrelationen kann nur durch Wechselwirkungen der mehr als dreihundert individuell unterschiedlich ausgeprägten Gehirnareale für Wahrnehmung, Motorik, Assoziation, Gedanken, Antriebe, und Willensakte erklärt werden. Gehirnforscher versuchen schon lange, Gedächtnisinhalte als Engramme auf einem Gehirnatlas in Arealen zu erfassen, sie waren jedoch bisher wenig erfolgreich. Patrick Krauss argumentiert, schwieriger als das maps Problem wäre das mapping Problem, nämlich die überzeugende Zuordnung komplexer Funktionen. Besser könnte man jene Engramme als Hologramme verstehen, das heisst, als Interferenzmuster aus verschiedenen Quellen.
Jaspers führt mit zahlreichen Beispielen aus wie der Übergang von den geistigen zu den existentiellen Funktionen durch das die Horizonte transzendierende (absolute) Bewusstsein bewirkt wird (VW 210). Und dieser Symmetriebruch wird durch das spezifische Selbstbewusstsein bestimmt, das sich aus den für die Individuation richtunggebenden Entscheidungen in den Grenzsituationen ergibt: Entscheidung, Anfang, Zufall, Leiden, Tod, Kampf, und Schuld. Menschliche Schuld kann auch in unterlassener Hilfeleistung bestehen und bestimmt die Schattenseite menschlicher Existenz (P2 247).
Aus einer differenzierten Anthropologie ergeben sich vier Freiheitsstufen, nämlich vorbewusste (spontane) Willkür, rational abgewogene Entscheidungen, Wahl zwischen geistigen Identitäten, und jene existentiellen Entscheidungen. Zum Beispiel zeigt Rovelli auf inwiefern jede Entscheidung ein irreversibler Schritt zur Überwindung der Vergangenheit in Richtung eines Gleichgewichts höherer Ordnungsstufen in der Zukunft ist (WL 125, 134). Sie alle bestimmen eines Menschen Biografie und damit das Selbst. Selbst und Existenz sind für Jaspers Synonyme. Diese Einsicht führt zum Thema des nächsten Abschnitts.
Jener existentielle Symmetriebruch kann wie eine Wasserscheide zwischen Immanenz (der den Menschen zugänglichen Erscheinungswelt) und Transzendenz (den noch unbekannten Hintergründen der Welt) betrachtet werden. Hier richten sich die psychischen Energien, die Gegenstand der Lebensphilosophie, der Bewusstseins-Philosophie im Sinne des Positivismus, und der Geist-Philosophie (Hegel und Dilthey) sind, als basale Vernunft zur Immanenz und als höhere Vernunft eines existentiellen Selbstbewusstseins zur Gesamtheit der Wirklichkeit, einschließlich der Transzendenz.
Für die Welt als immanente Seite der Wirklichkeit gibt es wissenschaftlich brauchbare Beschreibungen, quantitativ erklärbare Beobachtungen, und Hypothesen über die Ergebnisse neuer Experimente. Hier besteht das Universum aus einem Wirkungszusammenhang von fünf Komponenten: der Raumzeit als Bühne; der Elementarteilchen als Akteure; der vier Naturkräfte, die es ihnen erlauben, miteinander in Beziehung zu treten; der Naturgesetze; und den bisher bekannten elementaren und zahlreichen abgeleiteten Naturkonstanten (ohne die es die Welt höchstwahrscheinlich nicht geben würde). Schon diese erhellte Seite der Wirklichkeit erweist sich als ein mathematisch orchestriertes Wunderwerk.
Die andere Seite der Wirklichkeit wird durch noch offene Fragen in der Physik angesprochen. Die dabei formulierten Theorien können erweiterte Erklärungsansätze liefern, sind aber letztlich trotz Big Bang oder Steady State Theorie nicht in der Lage eine definitive Antwort zum Ursprung der Welt zu geben. In vielen seiner Publikationen stellt Rovelli in anschaulicher Weise die teilweise ungelösten Rätsel der modernen Physik dar. Zum Beispiel sein Hinweis auf die perspektivische Zeit der menschlichen Erfahrung in Bezug auf die Zeitauffassung des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik, die als statistische Theorie die fundamentale Ebene sich überlagernder Quantenzustände ausklammern muss. Er weist darauf hin, dass sich dort die Zeitvariable in einer Menge von schwingenden, sich überlagernden Raumzeiten auflöst, die sich nur in Wechselwirkung mit bestimmten Objekten konkretisieren. Die Geschichte Schwarzer Löcher endet mit einer Zeitumkehr durch einen quantenmechanischen Tunneleffekt, wonach Albert Einsteins Gleichungen ihre Gültigkeit behalten.
Heute wird von Physikern die Frage gestellt, ob die Grundlage allen Seins und allen Lebens nicht Teilchen und Kräfte, sondern Informationen beziehungsweise Quanteninformationen sind. Für Gerd Ganteför führt das zur Frage, ob es neben dem Energieerhaltungssatz auch einen Erhaltungssatz der Quanteninformation gibt und ob dann Informationen vom Quanten-Bit bis zu den Bewusstseinsinhalten nicht verloren gehen. Physiker können das, was im quantenphysikalischen Messprozess, im Quantencomputer und bei der Quantenteleportation die Verschränkung von Teilchen bewirkt, noch nicht verstehen; sie können nur auf noch unbekannte Naturgesetze verweisen, die auf für Menschen verborgene Teile der Wirklichkeit hindeuten. Zwischen Empirie und naturphilosophischer Spekulation gibt es heute eine Übergangsstufe, nämlich die mathematisch begründete Spekulation, ein Beipiel dafür ist die Stringtheorie.
Aber Information kann nicht die einzige Leitidee der Wissenschaft sein. Denn sie muss nicht nur gespeichert, sondern auch abgerufen und für die Interaktionen aller Lebensfunktionen übersetzt werden. Mit dem Übergang vom Binär-Code der Informationstheorie zur Quaternität des aus Basenpaaren bestehenden DNS-Codes beginnt die Biologie. Sie erforscht nicht nur die Material- und Formursache der Information, sondern auch die (An-)Triebs- und Zielursachen (Attraktoren) der Lebewesen in ihren Lebensformen. Damit beginnt die Psychologie. Information wird nun zur komplexen Kommunikation: von der aller Lebewesen zur bewusst-rationalen des Menschen; und von dessen geistig kultureller Stufe einer Gemeinschaft zu jener existentiellen Kommunikation, bei der es um die gegenwärtigen Entscheidungen geht, die den Lebensweg des Individuums mit seinen Licht- und Schattenseiten richtunggebend bestimmen. Hier geht es um neue Möglichkeiten in der Zukunft, wobei durch Zielursachen erkämpfte Freiräume eröffnet werden—um eine Kausalität durch Freiheit—neben den determinierenden Material-, Form- und Triebursachen, die den Menschen seitens seiner Vergangenheit her bestimmen. Die psychischen Funktionen auf der vorbewussten, der bewussten, der komplex geistigen, und der existentiellen Ebene werden von jenen fünf Kausalitäts- und den bereits genannten vier Gedächtnisformen bestimmt.
Das wäre nach meiner Meinung ein Ansatz, um die Frage von Anton Zeilinger nach dem Verhältnis von Information und Wirklichkeit beantworten zu können, warum die Welt nicht nur das ist, was der Fall ist, sondern auch das, was der Fall sein kann. Und das könnte ein Weg sein, die intrinsischen Tendenzen der Materie zur Adhäsion und Kohäsion analog zu den mentalen Phänomenen zu sehen, um den Panphysikalismus mit einem Panpsychismus verbinden zu können.
Es bleibt die Frage nach einem abstrakten Ursprung oder Urgrund der Welt, im Gegensatz zu einem anthropomorph-persönlich gedachten Schöpfer-Gott der Theisten. Da gibt es auch bei den Physikern nur außerwissenschaftliche Schöpfungsmythen. Allein von der Physik her könnte deswegen eine philosophische Theologie als Logos vom Theos, als Theologik—bezogen auf die Weltwirklichkeit und den Menschen—nicht begründet werden.
Nach meiner Einschätzung könnte dabei der Versuch von Jaspers helfen, Kants Projekt eines interkulturellen Vernunftglaubens durch eine Synopse der positivistischen, idealistischen, und existentiellen Strebensethik (im Gegensatz zur Sollensethik) fortzuschreiben. Jaspers und Jung haben die unübersteigbare Mauer bei ihren Auseinandersetzungen mit Theologen beklagt. Hans Saner beschreibt diese Mauer folgendermassen
Was er erfuhr, war fast immer dasselbe. Es gibt bei Theologen einen undiskutierbaren Glaubensbestand, einen Ort, an dem das Gespräch umschlägt ins Bekenntnis oder ins Schweigen.
Die Chiffrenlehre von Jaspers bietet sich als Leiter an, diese Mauer zu überwinden. Mythen, Symbole, und Religionsstifter von Offenbarungsreligionen sowie alle Texte, die in den Büchern der Evolution, der Natur, und der Geschichte der Menschwerdung als Spuren der Vergangenheit verzeichnet sind, können als Chiffren der Transzendenz für alle Menschen bedeutsam werden. Dazu gehören auch die Gottesbilder der Offenbarungsreligionen. Vordergründig ist es Aufgabe der basalen Vernunft, diese von allen anthropomorphen Projektionen zu reinigen: mit dem hintergründigen Ziel der höheren Vernunft, bei der interreligiösen und interkulturellen Kommunikation die lebensfreundlichen Seiten aller Weltreligionen zu bewahren und auch die berechtigten Anliegen der parareligiösen Ideologien anzuerkennen. Ohne die von ihnen verursachten Schrecken und Passionsgeschichten zu verschweigen.
Jaspers' und Jungs Bemühen als Psychiater-Philosophen kann für die Kommunikation und Friedensarbeit interkultureller Theologen als vorbildlich gelten, bei der die Logik von Jaspers als ein geeigneter Raum für die Verständigung praktisch geprüft werden kann. Hierfür müssten die besagten Mauern überwunden werden, um die genannte Wasserscheide der Wirklichkeit erreichen zu können. Sie durchzieht das allen Menschen zugängliche Plateau einer höheren Vernunft.
Von dieser Perspektive aus lässt sich die ständige Unruhe, der von monotheistischen Offenbarungsreligionen geprägten Kulturen überblicken, die durch fortwährende Schwergewichtsverlagerungen im metaphysischen Dreieck ausgelöst wird: theologisch ausgedrückt als Hingabe an Gott, wissenschaftlich zur Welt, oder anthropologisch zum Menschen.
Dieses metaphysische Dreieck bestimmte noch die Struktur der dreibändigen Philosophie von Jaspers, mit den Untertiteln Weltorientierung, Existenzerhellung, und Metaphysik. Unmittelbar anschließend kommt es in Von der Wahrheit zu einer Wandlung dieser Psychodynamik, nämlich zu einer Quaternität des Physisch-Psychischen, die wie ein Prisma zwischen Immanenz und Transzendenz eingebettet ist. Nun ging es darum, im Rahmen seiner neuen Vernunftkonzeption die Symmetriebrüche psychischer Wirklichkeitsebenen als "Weisen des Umgreifenden" (von Objekten und Horizonten) aufzuzeigen. Wenn nur eine dieser Weisen versinkt, versinkt für Jaspers auch die Vernunft.
Der Begriff "Wirklichkeit" hat den Vorzug, dass er nicht zu den statischen Begriffen (wie zum Beispiel Realität) und nicht zu den räumlich bestimmten Metaphern (wie zum Beispiel Wasserscheide) gehört, bei denen es um Grenzen (Horizonte) zwischen Immanenz (Diesseits) und Transzendenz (Jenseits) geht—also um die von Nietzsche bespöttelten Hinterwelten. Mit dem dynamischen Begriff "Werkelicheit" (abgeleitet aus "Werk" und "wirken") übersetzte Meister Eckhart das lateinische actualitas und die griechischen Worte entelechia und energeia und sprach damit das prozesshafte Beziehungsgefüge der Gottheit an. Es stammt von der indoeuropäischen Wurzel *uerg, aus der auch das griechische ergon und organon abgeleitet wurde. Geläufig war es in der Textilweberei, wo auch von Werg oder Wirkware gesprochen wird.
Von der Mikro- bis hin zur Makrophysik betrachtet, gibt es in dieser Vielheit Symmetriebrüche und Emergenzen sowie reale und fiktive, physische und psychische Wirklichkeiten mit noch vielen unbekannten Wirkkräften.
Die Werke Gottes wurden in einer von Augustinus bis zur Romantik immer wiederkehrenden Metapher auch Buch der Natur (liber naturae) genannt. Sie sind die lebendige textura der Wirklichkeit; Webarbeiten der Evolution, die in der Menschheitsgeschichte zu Choreographien bestehend aus Attraktoren, Ideen, und Sozialformen wurden; zu Lebensgeschichten der Generationen als Grundmuster für die Nachfahren; fantasievoll verknüpft aus Vergangenheit, Gegenwart, und Zukunft mit ihren Wendungen und Möglichkeiten, vitalen Farbmustern, Liebeserfahrungen und Erbfeindschaften, erinnertem und vergessenem Erlebtem und Erlittenem.
Der Mensch kann darin zwar absolut oder abstrakt denken, aber nicht leben. Er wird konkret von den fundamentalen Erfahrungen seiner frühen Kindheit bestimmt. So sehnt er sich von seinen Anfängen an nach einem Gottesbild als Kult- und Leitidee. Diese vereinfachend konkreten Gottesbilder stehen im Gegensatz zu den abstrahierenden Vorstellungen einer immanenten Selbstorganisation von Ordnungen und Auslese von Lebensformen.
Alle Theologen sind der Frage ausgesetzt: "Woher hast Du dieses Dein Wissen?" Diese Frage entfällt, wenn, wie tendenziell im Islam, auf alle Gottesbilder verzichtet wird; wenn die höhere Vernunft die vielfältige Wirklichkeit bedenkt—als Oberbegriff für die vordergründige, wissenschaftlich erforschte Immanenz der Welt und für die hintergründigen vielfältigen Aspekte der Transzendenz mit den vielen Namen wie: Sein, Wesen, Eines, Gott, Gottheit, Göttliches (to theion), oder das ganz Andere.
Es gibt eine theologische Denkrichtung, welche diese umfassende Wirklichkeit als Synthese von Theismus und Pantheismus anspricht, nämlich den Panentheismus. Der Begriff wurde von dem Fichte-Schüler Karl Krause geprägt, einem Pfarrerssohn, der in derselben Region aufwuchs wie der Pfarrerssohn Nietzsche. Krauses Name und der Begriff "Panentheismus" tauchen weder bei Nietzsche noch später bei Jaspers, Jung, oder Wilhelm Weischedel auf.
Über vier Stufen der Wesensschau führe der Weg über den Gliedbau der Wissenschaften und die Selbsterkenntnis zur Stiftung eines gottinnigen Menschheitsbundes als Erziehungs- und Ausbildungsbund. In seiner präzisen Studie zu Krause führt Enrique Ureña an, dass für Krause die Wissenschaften auf die Erkenntnis des absoluten unendlichen Urgrundes zielen. Mit dieser Einheit von Wissenschaftssystem und Metaphysik sollen alle sektenmässigen und populären staatskirchlichen Formen der Gotteserkenntnis überwunden werden. Darunter seien alle Formen absoluter Erkenntnisgewissheit subsumiert. Das Urwesen sei transzendent und wirke zugleich immanent als Bürge, nicht für bloß rationale, sondern für ethische und religiöse Gattungs- und Weltvervollkommnung. Am 4. November 1813 schreibt Krause in einem Brief an seinen Vater:
Wissenschaft und Gottinnigkeit ist in mir so eins geworden, dass ich beide nicht trennen könnte und ich würde mich für selig in diesem Leben schon halten, wenn ich vermöchte, dieser Einheit in allem streng gemäss und völlig rein zu leben.
Ureña gibt an, dass Fichte und Friedrich von Schiller Krause noch unterstützt hatten; er vertrat das Bildungsideal, welches von Schiller in seiner Jugendphilosophie propagiert wurde und bis hin zu Wilhelm von Humboldts Bildungsideal des deutschen Idealismus sich erstreckte. Dennoch wurde Krauses Hochschulkarriere verhindert. In Berlin setzte sich 1815 Friedrich Schleiermacher als Nachfolger Fichtes gegen ihn durch (KPF 337), aus Göttingen wurde Krause 1831 wegen revolutionärer Umtriebe ausgewiesen und anschließend auch in München wegen "St. Simonismus und andere[n] dergleichen Seltsamkeiten" polizeilich verfolgt. Die an Schelling adressierte Bewerbungsschrift wurde ohne Anschreiben zurückgeschickt (KPF 616n34). Heinrich Simon Lindemann berichtet, dass Schelling in seiner Funktion als Präsident der Akademie der Wissenschaften sich im Juli 1832 gegen den Rat prominenter Befürworter richtete, mit der Begründung,
die Münchner Universität wäre ein geschlossenes Ganze, in das man keine neuen Elemente aufnehmen dürfe. [KPF 620]
Das mit dem Panentheismus Krauses verbundene Friedensprojekt war mit der vom bayrischen und preußischen Monarchen geförderten restaurativen Spätphilosophie Schellings (die posthum veröffentlichen Werke Philosophie der Mythologie und Philosophie der Offenbarung) unvereinbar. Drei Monate später verstarb Krause nach einer Passionsgeschichte mit ständigen Anfällen von Nervenfieber vor seinen Kindern an einem Herzinfarkt.
Ureña weist auf eine Tagebucheintragung Johann Wolfgang von Goethes hin welche sich auf ein gesellschaftliches Abendessen bezog, bei welchem auch der Schriftsteller Christoph Martin Wieland anwesend war (KPF 179n187):
Abends bey Griesbachs, wo Wieland logierte und von einem närrischen Freimaurer Krause [1802-05 in Jena, Philosoph] erzählt, der die Welt zu erlösen gedenkt.
Das für Goethe Dämonische im Bonapartismus musste sich als Formen des Willens zur Macht im Massenzeitalter des Industriekapitalismus erst noch entfalten—und durch Adam Smith, Thomas R. Malthus, Charles Darwin, Carl von Clausewitz, Karl Marx, Nietzsche, und Freud artikuliert werden; bevor man, wie es Jaspers unternahm, an eine neue Synopse denken konnte.
So blieb Krause in Deutschland eine unzeitgemäße akademische Schattenexistenz. Er hinterließ 256 Werke und einen noch umfangreicheren Nachlass. Er ist eine Ausnahmegestalt des deutschen Idealismus, vergleichbar mit den Sezessionisten Kierkegaard und Nietzsche; aber über diese beiden Antipoden auf protestantischem Boden bereits hinausweisend—nach meiner Einschätzung als Vordenker eines vereinten Europas und des Völkerbundes.
Großen Einfluss hatte er dagegen im spanischen Sprachraum, wo er unter dem Begriff "Krausismo" als Remedium gegen die Theokratie wirkte und bis ins 20. Jahrhundert hinein als führender deutscher Philosoph galt. Nach Hans Gumbrecht hatte diese liberale Bildungsbewegung für die kulturelle Blüte Spaniens im 19. Jahrhundert und für Künstler wie Salvador Dalí, Luis Buñuel, und Miguel de Unamuno dieselbe Bedeutung wie der Erasmismus für das Spanische Goldene Zeitalter, Siglo de Oro genannt, von 1550 bis 1660. Ihre Institutionen wurden von den Ultramontanen bekämpft und von den Francisten nach dem Bürgerkrieg endgültig geschlossen.
Gemäß Godehard Brüntrup gibt es eine langfristige abendländische Entwicklung zum Panentheismus. Vorbereitet wurde diese durch die Mysterienreligionen (als Übergangsphänomene vom Polytheismus zum Monotheismus) und den Neuplatonismus (Plotin, Porphyrios, Proklos); und weiter durch die mystischen Strömungen in allen drei heutigen monotheistischen Religionen. Meister Eckhart hat in seinen Predigten den "Durchbruch der Gottheit" als Gottgeburt im Seelengrund beschworen. Dann folgten die "modernen Wurzeln" des Panentheismus im deutschen Idealismus (Hegel, Schelling, Schleiermacher). In Schellings Freiheitsschrift von 1809 war der Gedanke bedeutsam gewesen, dass menschliche Freiheit nicht im Gegensatz zur göttlichen Freiheit gedacht werden könne, denn, so schreibt Schelling,
zöge Gott seine Macht einen Augenblick zurück, so hört der Mensch auf zu seyn. Gibt es gegen diese Argumentation einen anderen Ausweg, als den Menschen mit seiner Freiheit, da sie im Gegensatz der Allmacht undenkbar ist, in das göttliche Wesen selbst zu retten, zu sagen, daß der Mensch nicht außer Gott, sondern in Gott sey, und daß seine Thätigkeit selbst mit zum Leben Gottes gehöre?
Auch in Alfred Whiteheads Prozesstheologie werden panentheistische Grundgedanken angesprochen. Demnach hat Gott als Grund allen Strebens nach Wert eine Doppelnatur: Er ist die unbewusste Schau aller reinen Möglichkeiten (primordial nature) sowie die bewusste Prehension des Weltprozesses (consequent nature) die sich mit der Welt verändert. Eine rationale Religion erfordere zunächst die bewusste Verbindung traditioneller Gottesbegriffe durch Analyse ihres metaphysischen Gehalts. Auf der unbewussten Kreativität, welche die Natur der Dinge ausmache, beruhe die (partielle) Freiheit individueller Akte der Selbstschöpfung zur Subjektivität. Gott hat damit eine uranfängliche und eine folgerichtige Natur. "Die Folgenatur Gottes ist bewußt" (PR 616). "Die Folgenatur Gottes ist eine Vielheit von Elementen einer individuell zusammengesetzten Selbst-Relation" (PR 625). Whitehead sagt zu dieser neuen Kreativität:
Daher benötigt der ganze Prozeß selbst, auf jeder Stufe als eine eindeutig begrenzte Tatsache betrachtet, die aus der Kreativität hervorgegangen ist, ein begrenztes Einzelwesen.
Saner schreibt, dass Jaspers sich vom Neopositivismus zwar distanzierte, aber dennoch Whitehead, Russell, und Wittgenstein schätzte, denn diese
waren für ihn gerade dadurch gekennzeichnet, daß sie, obwohl sie grundlegende Werke geschaffen hatten, in keine Form des Neopositivismus eingingen. Whitehead schätzte er wegen seines offenen Sinns für die Metaphysik, Russell...bewunderte er für seine unerschrockene Redlichkeit. Über beide stellte er Wittgenstein...Seine Verschwiegenheit darüber, was er und das Prinzip seines Denkens sei, das Anzeigen des Wesentlichen...machte ihn für Jaspers fast zu einer mystischen Figur, zu einem großen Schweiger im Umkreis der Metaphysik, der um die Relevanz des Metaphysischen weiß. [JSB 141]
Auch Max Scheler kam in seiner Spätphilosophie zum Grundgedanken des Panentheismus. Der Mensch sei ein Mikrotheos, dessen einziger Zugang zu Gott aktiver Einsatz für Gott und für das Werden seiner Selbstverwirklichung sei.
Mit ungewöhnlich radikalen metaphysischen Chiffren hat der nach Jaspers zweite psychiatrische Denker, nämlich C. G. Jung, am Ende gelebt und unter diesen auch an Visionen und Nah-Tod-Erlebnissen gelitten. Das christologische Prinzip Deus et Homo lebe mit dem Paradox, ganz Gott (barmherzig, engelhaft, und paradiesisch) und ganz Mensch (machtgierig, lasterhaft, und erlösungsbedürftig) zu sein. In seinen Briefwechseln mit Theologen vertrat Jung unter Berufung auf Meister Eckhart die Position, dass Gott sich im Menschen noch nicht vollständig inkarniert habe und ihn brauche, um sich seiner bewusst werden zu können. Dieser blasphemisch klingende Gedanke führte Jung zur Vorstellung einer gleichermaßen kosmologischen wie anthropologischen Matrix, wonach die Lebenswelt des Menschen nur der Schatten einer höherdimensionalen Wirklichkeit sei. Solange des Menschen animalistische Schattenseite dissoziiert und als Gier, Hass, und Wahn projiziert wird, lebt der Mensch noch in einem Tier-Mensch-Übergangsfeld.
Die kosmologische und planetarische Evolution kann als Weg der Schöpfung gedacht werden, der über das Ich- und Kollektivbewusstsein, das planetarische und kosmische Bewusstsein bis zu einem Punkt Omega gedacht werden kann. Dieses Ziel hat Teilhard de Chardin als eine Naturteleologie mit einem "Wachstum des Innern" aufgefasst: mit kosmogenetischen Stufen von Materie und Biogenese bis zum geistigen Erfassen der "Innenseite der Dinge" (MK 42-56). Konvergenzpunkt der Liebe als inneren Energie sei auf den Punkt Omega gerichtet, dessen kosmische Funktion darin bestehe, das Einheitsstreben der denkenden Teilchen der Welt in Gang zu bringen und zu nähren (MK 277). De Jardin schreibt:
Eigengesetzlichkeit, allgegenwärtiges Wirken, Irreversibilität und schließlich Transzendenz: das sind die vier Attribute von Omega. [MK 279]
Infolge dieser Natur von Omega habe die Noosphäre eine persönlichkeitsbildende Kraft zur Synthese (MK 281).
Die panentheistischen Kernintuitionen lauten: Die Welt ist in Gott, aber Gott ist mehr als die Welt. Ihre Beziehung ist wechselseitig und lässt sich als prozesshafte Wechselwirkung und damit als Freiheitsgeschehen begreifen, welches erst infolge den Raum für Liebesfähigkeit und Gewissensregungen eröffnen kann. Jede verdinglichende Gottesvorstellung sollte damit überwunden werden. Ebenso könnte damit das mit dem interventionistischen Gottesbild der Theisten unlösbare Theodizee-Problem und die bedenkliche Erbsündenlehre unter einer neuen Perspektive gedacht werden.
Eine Synopse all dieser theologischen Gedanken mit ihren Verzweigungen bis in den deutschen Idealismus könnte als integrale Theologie, das heißt als philosophische Theologie im Sinne von Wilhelm Weischedel bezeichnet werden. Mit dem Ziel der höheren Vernunft entworfen, auch das Verhältnis zur Transzendenz vielfältig zu denken. Alle Bestimmungen einer von der Immanenz abgesonderten Transzendenz als Ursprung der Schöpfung würden Gottes energetische Vielfalt und intrinsische Anwesenheit in allen Dingen einschränken. Diese wirkt und zeigt sich in Kosmos, in der Natur, und in der Geschichte. Wie ich bereits im früheren Abschnitt zum metaphysischen Dreieck dargestellt habe, spricht diese Transzendenz zum Menschen aber nur in höchstpersönlich erfahrbaren Chiffren—sie selbst verbirgt sich und Gott schweigt als deus absconditus. Man kann über diese Wechselwirkung und Verschränkung nichts Allgemeingültiges wissen, sondern sie nur persönlich im Lebensvollzug erfahren. Und dies bewahrt dem Menschen eine Religiosität als antidogmatische Grundstimmung einer vernehmenden Vernunft.
Karl Rosenkranz weist darauf hin, dass auch in den für Hegel schlechtesten Religionen, die auf Knechtschaft und Aberglauben beruhen, sich Orte der Erhebung zum Unendlichen finden. Rosenkranz schreibt:
Die Religion befreit den Menschen von der Last seiner selbst; sie befreit ihn aber auch von dem Wahne, in Gott ein ihm fremdes Wesen sich gegenüber zu haben.
Die dargestellten Grundgedanken der herkömmlichen Naturteleologie, des Panentheismus, und der Prozesstheologie zeigen Konvergenzen zur europäischen Existenzphilosophie seit Schelling und Kierkegaard auf. In dem weiten Raum von Jaspers' Periechontologie weren sie aufgehoben. In ihrer Ganzheit wird der Streit zwischen den historischen Gestalten der Theologia und Philosophia, wer Herrin und wer Magd sei, dann gegenstandslos. Zusammen deuten sie auf einen inneren Sinn, auf eine zentrierende Tendenz der Noosphäre zum Wachstum des Inneren (Teilhard de Chardin), zur innengeleiteten Introversion (David Riesman)—als Gegenkraft zu den extravertierten Gottesbildern des Theismus. Sie können so das Selbstbewusstsein stärken, die soziale Umwelt aktiv reformieren zu wollen. Die existentiellen Entscheidungen in den Grenzsituationen werden dann zu Signa des Selbst; zu Kennzeichen der Individuation, die nach Jung der Weg zum Glauben sein sollte. Und als Signa auch zu lebenswichtigen Chiffren der Transzendenz, die zur Entsagung, zum Opfer, führen können—im Gegensatz zum Versagen, zur bloß skeptischen Verneinung und Re-Signation.
So könnten Freiheitsräume für Kreativität, das Verbindungsmedium Vernunft, und Liebe bewahrt werden; und das Gewissen als eine höhere Art von Weltwissen im Hinblick auf eine hintergründige Wirklichkeit gedeutet werden. Und ein Gleichgewicht zwischen Gottvertrauen und Selbstverantwortung könnte nach Gracians Meisterregel erreicht werden:
Man wende die menschlichen Mittel an, als ob es keine göttlichen, und die göttlichen, als ob es keine menschlichen gäbe.
Damit würde mit dem Deismus auch die Mentalitätsschicht der europäischen Aufklärung überwunden sein. Die Lehre, dass der Schöpfer nicht mehr in das Weltgeschehen eingreife, ist reine Fiktion—Wunschdenken.
Die Diskrepanzen theistischer, deistischer, oder pantheistischer Gottesbilder lassen theokratische Machtstrukturen scheitern—allein wegen der jeweils unvereinbaren Dialektik von Nichtwissen, Wissenwollen im Nichtwissen, und Glaube. Das vernunftlos-starre Verhältnis einer Gesellschaft zur Transzendenz des Göttlichen durch ein von Theokraten erzwungenes einfältiges Gottesbild lässt sie in Krisen zusammenbrechen wie ein Kartenhaus. Beispiele dafür sind das magische Gottkaisertum der Mayas, Azteken, und Inkas. Ähnliches gilt für das dogmatische Festhalten an der einen Chiffre der Transzendenz, die zum maßgebenden Dogma erhoben wurde: an der einen Offenbarungslehre der historisch wirksamen Gestalten Zarathustra, Moses, Jesus, oder Muhamed; mit jeweils einseitig anthropomorphen Gottesbildern: vom Gott aller Götter, vom völkischen Vertragspartner, vom Bündnis zwischen liebendem Vater und Sohn—trinitarisch getragen vom Heiligen Geist—oder vom patriarchalischen Führer aller bisher Missachteten.
Wie könnte man dem vergleichbaren Anliegen von Jesus und Muhamed, niemanden mehr zu diskriminieren, überhaupt gerecht werden? Als Beispiel diene Muhamed, welcher das Gottesbild von der Trinitätslehre reinigte, gleichzeitig aber Jesus als Propheten würdigte, und diesem sogar eine Hauptrolle als Richter beim Jüngsten Gericht zuteilte. Auch die Passionsgeschichte der—von den Bürden einer Gottesmutter befreiten—Mutter Maria wird im Koran gewürdigt. Der Islam liesse sich durchwegs als ein notwendiges Remedium der Durchsetzungsfunktion (Animus) gegen die Überbetonung der Anpassungsfunktion (des Liebesbedürfnisses der Anima) durch Jesus deuten. Auf diese Art könnte er vor seinen theokratischen Exzessen bewahrt werden.
Die Aufspaltung von Animus und Anima bestimmte auch die auf militante Konkurrenz beziehungsweise auf Liebesgemeinschaft zielenden (und sich seit der Antike bekriegenden) Gesellschaftsideale liberaler beziehungsweise sozialer Positionen: bis hin zu den sozialistischen und kapitalistischen Idealtypen der Gegenwart.
Eine panentheistische Konjunktion der Glaubenssätze mit den Orientierungsaufgaben könnte der Aufklärung helfen, diese sich heute verschärfenden Konflikte zu überwinden. Für Jung bedeutet der Begriff Coniunctio die Wiedervereinigung getrennter seelischer Potentiale. Es gibt neben Animus und Anima noch weitere Polaritäten, wie zum Beispiel passiv/aktiv, abstrakt/konkret, oder introvertiert/extravertiert. Coniunctio heißt, dass beide Seiten der Medaille wahr sind (ein und dieselbe Währung). Sie ist mehr als der bloße Gegensatz von Glauben und statischem Wissen (des Verstandes); mehr als eine bloß aussagenlogische Verknüpfung. Der Verstand ist nur ein Aspekt der drei Bewusstseinsarten. Der fundamentale Gegensatz von Verstand und Vernunft wurde bereits von Kant, Hegel und Jaspers hervorgehoben. Wie bereits im einleitenden Abschnitt dargestellt wurde, geht es vielmehr um eine Coniunctio von Glauben und dem Umgreifenden der Vernunft als Verbindungsmedium.
Das Ziel der Aufklärung war es, auf wissenschaftlicher Basis als eine die Menschheit zentrierende Kraft das Ultra-Humane eines höheren Menschen mit einer wachsenden Vernunft zu fördern—zum Lebensweg eines Menschen zu gehören. Nietzsche konnte als homo patiens von dem Übermenschen, der sich selbst überwindet, nur träumen. Denn es kann nicht um eine Umwertung aller Werte gehen, sondern lediglich um vier Orientierungsaufgaben der Aufklärung, die den Denk- und Handlungsraum öffnen:
- Die Würdigung der Mythen, Kanonisierungen von heiligen Schriften, und Dogmen als Stufen der ideellen Evolution des Menschen; die notwendig waren, um das rein magische Denken in der Tier-Mensch-Übergangsphase zu überwinden.
- Die Erforschung dieser Umwege des homo fingens: der kollektiven Mentalitätsschichten von der Magie über die Gottesbilder der Religionen bis hin zu den positivistischen Ideologien; um die Abwege des homo demens zu vermeiden, des wahnhaften Aberglaubens und seines theokratischen beziehungsweise totalitären Missbrauchs.
- Die pädagogische beziehungsweise therapeutische Förderung einer Individuation mit dem Ziel der Erreichung einer basalen Vernunft mit einer möglichst vollständigen Homöostase psychischer Grundfunktionen auf vier Wirklichkeitsebenen, um mit den Antinomien der Wirklichkeit zwischen Skeptizismus und Dogmatismus leben zu können und den eigenen Schatten nicht zu verdrängen. Dies dient als Basis, um Freiheitsräume für kreative neue Wege zu eröffnen.
- Das Bestreben der höheren Vernunft nach einem Grundvertrauen (als regulative Idee und Postulat der praktischen Vernunft), dass die Evolution als sinnhaft empfunden wird ist hier massgebend; um die Menschheitsgeschichte nach einer Experimentierphase heute als Bewährungsaufgabe in einem Überlebenstest zu begreifen.
Der Vortrag von Hans Küng im Rahmen einer Veranstaltung der UNESCO, "Kein Weltfriede ohne Religionsfriede," ist aktueller denn je. Für Arthur Koestler leben die Menschen seit 1945 unter dem Damokles-Schwert des großen Atomkriegs, nachdem bisher die Apokalypse als Naherwartung nur herbeifantasiert und immer wieder verschoben werden musste. Diese Gefahr behandelte er in seinem letzten Werk, Janus. Er beginnt mit Symptomen und Ursachen der Schattenseiten des homo demens et necans. Dazu gehört unter anderem die lange Phase des hilflosen Kleinkindes und des von Autoritäten abhängigen Heranwachsenden, die den Menschen konditionierbar machen. Dann kommt er zu den schöpferischen Seiten der Evolution mit ihrer Kette von Holons (Zelle, Körper, Familie, Clan, Stamm) und zur Integration höherer Einheiten bedingt durch die gesteigerte Kreativität des menschlichen Geistes (Sprach- und Kulturnationen und deren Allianzen als Lebensformen temporärer Friedensordnungen bis hin zum planetarischen Bewusstsein). Religionsstifter und Propheten hatten für ihn lichte Momente, in denen sie nur Fragmente des Geheimtextes lesen konnten. Köstler schreibt:
Später hatten sie ihn dann redigiert, dramatisiert und ausgeschmückt, bis sie selbst nicht mehr sagen konnten, welche seiner Teile authentisch waren.
Jaspers hat zunächst drei und später fünf Sätze des philosophischen Glaubens (und des Unglaubens) zusammengefasst. Hier mein Vorschlag, wie die fünf Jaspers-Sätze im Sinne einer Konjunktion mit jenen Orientierungsaufgaben verknüpft werden könnten:
- Gott ist die Wirklichkeit von Immanenz und Transzendenz. Gott ist die Gesamtheit dessen, was—auch intrinsisch im Menschen—wirkt.
- Es gibt die unbedingte Forderung zur Individuation im Sinne einer adäquat differenzierten Anthropologie; zunächst mit dem pädagogischen Ziel einer basalen Vernunft, die eigenen Dysfunktionen nicht zu verleugnen und die psychischen Grundfunktionen möglichst vollständig und auf dieser Basis ein existentielles, auf die Wirklichkeit bezogenes Selbstbewusstsein zu entwickeln.
- Der Mensch ist endlich und unvollendbar und hat mit den Dysfunktionen seiner Schattenseite zu leben.
- Der Mensch kann in Führung durch Gott leben. Gottesebenbildlichkeit des Menschen und intrinsische Gottesgeburt sind Erfahrungen von Ausnahmegestalten—Max Weber sprach von religiösen Virtuosen. Sie können zwar von Theokraten missbraucht werden, sollten aber als eschatologisches Ziel der höheren Vernunft angedacht und bedacht werden. Gemäss des menschheitsgeschichtlichen Erfahrungshorizonts mit fundamentalistischen Theokraten und totalitären Ideologen sollte man bei diesem vierten Satz von einer Intuition im Sinne einer asymptotisch annähernden Begegnung sprechen und von dem Verlangen nach Kommunikation, um dem Kern der Dinge verstehend näher zu kommen.
- Die Realität der Welt hat ein verschwindendes Dasein zwischen Gott und Existenz. Dieser für das Alltagsbewusstsein skandalöse Satz ist eine Provokation. Er erinnert an den Akosmismus der Mystiker und deutet auf die unio mystica hin.
Koestlers Buch endet mit dem bereits zitierten "Credo eines Agnostikers": In der Todeszelle des Franco-Regimes widerfuhr ihm das ozeanische Gefühl der Mystiker: Die sinnlich und begrifflich erfahrbare Realität wird von einer höheren Ordnung umhüllt, durchdrungen, und mit Sinn erfüllt. Dieser ist den Menschen in einer versiegelten und in Geheimtinte geschriebenen Botschaft übergeben worden. Allein das Wissen, dass es diese Botschaft gibt, beeinflusst das Denken und Handeln. Der Mensch sollte nachdem alles gesagt und getan ist mit der Grunderfahrung an sich glauben können, in ein göttliches Geschehen eingebettet zu sein.
Für das konfuzianische Denken ohne die monotheistische Unruhe des metaphysischen Dreiecks (und früher noch ohne Kenntnis der kosmischen und biologischen Evolutionsprozesse) war die himmlische Ordnung als Modell irdischen Handelns eine Gewissheit. Im Gegensatz zu dieser Gelassenheit stehen die Ab- und Umwege des Monotheismus mit ihren Völkerpassionen. Wenn für Hegel der Umweg der Weg des Geistes ist, dann waren die Umwege der Religionsgeschichte die Wege des menschlichen Geistes und die allzu menschlichen Abwege seines Scheiterns.
Ein interkultureller Religionsfrieden zwischen den monotheistischen und zusätzlich mit den nicht monotheistisch geprägten Kulturen scheint erst auf einem derartigen Niveau der Metaphysik erreicht werden zu können. Es geht darum, den gemeinsamen Boden zu finden, der den Menschen tragen kann, um schrittweise Friedensarbeit bis hin zum planetarischen Bewusstsein leisten zu können. Das Selbstbewusstsein, das daraus erwachsen kann, ist die Summe aller Kommunikationen und Entscheidungen, die den Lebensweg eines Menschen bestimmt haben—einschliesslich des inneren Gesprächs mit allen, die von jenem planetarischen Ziel geleitet wurden.
Das adäquat differenzierte anthropologische Grundwissen der philosophischen Logik steht im Gegensatz zum Spezialwissen, das in den Methoden-, Kategorien- und Wissenschaftslehren behandelt wird. Nach deren Ankündigung in der Logik (VW 26-8) wurden erst aus dem 1991 erschienenen Nachlassband zur philosophischen Logik die Grundzüge des Gesamtkonzepts von Jaspers erkennbar nämlich die Methoden-, Kategorien-, und Wissenschaftslehre von dem allgemeinen Orientierungswissen der philosophischen Logik zu trennen.
Dieser Nachlassband enthält unterschiedlich ausgearbeitetes Material, das weit hinter dem zurückblieb, was Jaspers mit seiner Kategorien-, Methoden- und Wissenschaftslehre erreichen wollte. So kam es zu einer eigenartigen Abwertung dieser Materialien durch Hans Saner:
Dort also, wo seine Logik vom Schulgebiet der Logik handelt, ist sie nicht gut—und dort, wo sie gut ist, handelt sie nicht von den Schulgebieten der Logik. Insofern werden die meisten Logiker sagen, das Jaspers' Logik schlicht und einfach überflüssig ist.
Dennoch bietet der Nachlassband diskussionswürdiges Material. Eine künftige Aufgabe wäre es, die im veröffentlichten Werk von Jaspers verstreuten Passagen zur Methoden-, Kategorien- und Wissenschaftslehre damit zu vergleichen. Man kann Jaspers hinsichtlich dieser folgenden drei Aspekte als Kantianer, Systematiker (in der Nachfolge von Dilthey), und als Schüler von Weber ansehen. Diesbezüglich beeinflusste ihn die besondere Bedeutung der Kategorien für Weber und dessen Methodologie.
Die Kategorien werden darin unter einem völlig neuartigen Gesamtaspekt geordnet. Die historischen Kategorienlehren und die Besonderheiten der (systematischen) Kategorienlehre von Jaspers zu vergleichen, wäre eine weitere Aufgabe der Philosophie. Die Methodenlehre wurde neben der Kategorienlehre am umfassendsten ausgearbeitet. Aus der Vielzahl der Methoden werden drei universale Methoden, vier polare Methodenpaare, sowie spezifisch naturwissenschaftliche von spezifisch geisteswissenschaftlichen und philosophischen Methoden unterschieden.
Im Gegensatz dazu gibt es zur Wissenschaftslehre nur lückenhaftes Material und Entwürfe. Aber schon mit der Unterscheidung von universalen und partikularen Wissenschaften wurde Diltheys Programm von Jaspers fortgesetzt, eine Systematik der Geisteswissenschaften zu entwickeln.
Bei der philosophischen Logik von Jaspers handelt sich um einen Ansatz zur Schaffung eines interkulturellen anthropologischen Grundwissens, ausgehend von der Grundeinsicht, dass nicht nur die Kategorienlehren eindeutig sprachgebunden, sondern auch die Methoden- und Wissenschaftslehren kulturabhängig sind. Das philosophisch-anthropologische Orientierungswissen sollte daher die allen Kulturen gemeinsamen Wirklichkeitsebenen menschlicher Praxis adäquat differenzieren. Ob dies Jaspers gelungen ist und seine Logik möglicherweise eine ungenutzte Ressource blieb, wurde bisher noch nicht diskutiert. Bei dieser Rezeption und Bewertung wären (als weitere Aufgabe) die Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte (zum Beispiel der Gehirn-, Intelligenz- und Kreativitätsforschung) heranzuziehen.
Durch die synoptische Darstellung der neuzeitlich-europäischen Philosophiegeschichte in der philosophischen Logik wurden Strukturmerkmale der europäischen Kultur artikuliert. Damit wird man in die Lage versetzt, dementsprechende Fragen an andere Kulturen als Kommunikationspartner zu richten. Dazu gehören deren Begriffe von Wirklichkeit und ihr damit assoziiertes Menschenbild; und verbunden damit mit den Fragen nach dem Naturrecht von Menschenrechten und Menschenpflichten, und nach fundamentalistisch-theokratischen Tendenzen im Kontrast zum Stellenwert von Wissenschaft und Rationalisierung.
Die Einzelheiten dieses genetischen Aspekts der Philosophie gehören zum Inhalt des interkulturellen Dialogs. Nach dem sachlichen, historischen, praktischen, und dynamischen Aspekt wird unter dem genetischen Aspekt die Herkunft der Philosophie aus anderen Lebensbereichen untersucht, denen sie sich verdankt und zugleich kritisch entgegenstellt (zum Beispiel Mythos und Religion, Sprache und Dichtung, Wissenschaft und Politik). Sie betreffen die Morphologie der jeweiligen Kultur. Erst dann kann man dem Ziel näherkommen, auf der Grundlage eines allgemein akzeptierbaren philosophischen Glaubens im Sinne des Panentheismus das Projekt einer Weltphilosophie und damit den interreligiösen und interkulturellen Dialog fördern zu können.
Mit diesem genetischen Aspekt wird auch die Möglichkeit eröffnet, zwischen Wissenschaftstheorie und Philosophie den Dialog zu eröffnen. Vom Dreistadiengesetz Comtes bis zu Weber und Ernst Topitsch stand in der modernen Wissenschaftsphilosophie das Thema von einem Ende der Philosophie im Vordergrund. Jaspers setzte dem entgegen, der Niedergang der akademischen Philosophie sei noch nicht das Ende der Philosophie. Der gewollte Bruch mit der Tradition würde bedeuten, dass die Gegenwärtigkeit eines generationenübergreifenden Erzählzusammenhangs der bedeutenden Philosophen seit der griechischen Aufklärung in Europa aufgegeben werde. Ähnliches gilt für die anderen achsenzeitlichen Kulturen.
Webers Leitidee der Wertfreiheit war für Jaspers ein Ansatz, um methodisch unreine Mischungen von Philosophie und Wissenschaft erkennen zu können. Philosophische Anthropologie und Aufklärung sind dagegen formierende Kräfte für die Reinheit echter Wissenschaft. Ideologische Streit-Themen, welche die Universitätsdiskurse und Feuilletons beschäftigten (wie der Werturteils- oder Positivismusstreit und der Historiker-Streit), hätten mit der Unterscheidung bewusst-rationaler Wissens- und geistiger Wert-Funktionen überzeugender geklärt werden können.
Die Tendenz der Philosophie zur Verwissenschaftlichung beruht auf der schon von Plato bestrittenen Annahme, Philosophie sei lehrbar und lernbar. Dies führt jedoch immer noch zur Frage: Was ist abstrakt lehrbare Philosophie und was ist konkret eigentliche (das heißt kommunikativ-praktische) Philosophie?
Jaspers sorgte bei den Korrekturen seiner Texte stets für eine allgemein verständliche Sprache. Dies im Gegensatz zu den terminologisch schwierigen Sprachen der Transzendentallogik Kants und der Logik Hegels. Dieser musste in der Seinslogik (1832) insoweit sein Scheitern eingestehen. Auch dies ist ein wichtiger Gesichtspunkt für die Pflege interkultureller Kommunikation.
In einem Brief an Arendt, datiert 17.4.1965 bezeichnete Jaspers sein Werk, Von der Wahrheit, als einen Schlüssel, mit dem er eigentlich überall seitdem gearbeitet habe. Er sieht darin das logische (bei Kant: transzendental-logische) Mittel, alle Magie loszuwerden (BW 631). Dennoch blieb die Logik, wie es Jürgen Habermas forderte, unbeachtet. Ein Grund hierfür war ein für die Rezeption von Jaspers verhängnisvoller Zirkel: Ohne diese Logik konnte man seine Sprache mit ihren zentralen Kategorien nicht verstehen. Sie stand ab 1935 im Zentrum der werkgeschichtlichen Entwicklung. Die spätere Sprache von Jaspers, gerade als politischer Schriftsteller, bleibt weitgehend unverständlich, wenn ihre wesentlichen Unterscheidungen und Begriffsbildungen nicht nachvollzogen werden. Zum Beispiel empfand Einstein Jaspers sprachliche Ausdruckweise als das "Reden eines Trunkenen." Andreas Cesana, der in Basel lehrte, schilderte mir, welch grosse Schwierigkeiten er bei der Lehre seiner Studenten gehabt habe, Texte von Jaspers zu vermitteln. Er verspürte offene Aversion gegen eine als wolkig empfundene Sprache.
Jaspers entwickelte eine spezifische Begrifflichkeit hinsichtlich fundamentaler Themen: Autorität und Ausnahme; Bewusstsein und Erkennen als Denkformen (Kategorien, Methoden, Fragestellungen, Systematiken); Gestalten und Gehalte der Wahrheit; Wahrheit im Durchbruch und Vollendung der Wahrheit als existentielles Ziel. Und dies im Rahmen der Periechontologie als einer Lehre von Weisen des Umgreifenden (der Gegenstände und der verschiedenen Horizonte) auf einer vitalen, rationalen, geistigen, und existentiellen Wirklichkeitsebene.
Im Vergleich zu dieser prismatischen Quaternität von Funktionen erscheinen weniger differenzierte Anthropologien als defizitär: als dualistisch, konfus (verworren) oder diffus (verschwommen). Jaspers verwendet bestimmte Termini: Abgleitung (im Sinne von Reduktionismus), Verabsolutierung, Isolierung; vor allem aber: Übertragung und Verkehrung. Was von wo wohin übertragen oder verkehrt wird kann nur im Rahmen seiner philosophischen Logik verstanden werden. Durch solche Termini wurde (und wird bis heute) umgekehrt Jaspers vorgeworfen, provokativ, polemisch, überheblich, herablassend und dabei unverständlich zu sein.
Demnach schlage ich ein dreistufiges Konzept vor: zunächst die Spaltungsprozesse der Logikgeschichte zu erfassen; anschließend die synoptische Zusammenfassung dieser Logikgeschichte durch Jaspers zu prüfen und sie dabei als offenes (ergänzungsbedürftiges) Referenzsystem zu betrachten, um so jede doxographische Festlegung zu vermeiden; und schließlich mit Hilfe dieser Synopse die von Jaspers vielfach in seinem Gesamtwerk geäußerte Kritik an theologischen, ideologischen, und wissenschaftlichen Einzeltheoremen metakritisch nachzuvollziehen.
Insgesamt kann man die philosophische Logik als Spätaufklärung charakterisieren, welche die Traditionen nicht nur des Idealismus aufgehoben hat, sondern auch den historischen und philosophischen Stellenwert der Wissenschaftsphilosophie und formalen Logik kritisch zu würdigen wusste. Deren Stellenwert gehört zur Wissenschafts- und Technikgeschichte.
Die Verwendung der (ursprünglich geographischen) Orientierungsmetapher für die Aufklärungsphilosophie ist seit Kants Abhandlung von 1786 üblich geworden. Er gab ihr den Titel: "Was heißt: sich im Denken orientieren?" Darin entwirft Kant am Ende zusammenfassend das Postulat des Vernunftglaubens als Programm. Damit sollen alle Angriffe auf die Denkfreiheit abgewehrt werden. Diese Angriffe erscheinen als Zensur, Gewissenszwang, Machtansprüche, Schwärmerei, angebliche Erleuchtung, Aberglaube (Unterwerfung der Vernunft unter Facta) und Freigeisterei (den Grundsatz, keine Pflichten mehr anzuerkennen). Zu Beginn definiert Kant, dass analog zur mathematisch-geographischen Orientierung das philosophische Denken eine Logik zur Orientierung zu sein habe,
wenn sie, von bekannten Gegenständen (der Erfahrung) ausgehend, sich über alle Grenzen der Erfahrung erweitern will und ganz und gar kein Objekt der Anschauung, sondern bloß Raum für dieselbe findet; da sie alsdann gar nicht mehr im Stande ist, nach objectiven Gründen der Erkenntnis, sondern lediglich nach einem subjectiven Unterscheidungsgrunde in der Bestimmung ihres eigenen Urtheilsvermögens, ihre Urtheile unter eine bestimmte Maxime zu bringen. [WHD 136]
In einer Fußnote wird dazu vermerkt:
Sich im Denken überhaupt orientieren, heißt also: sich bei der Unzulänglichkeit der objectiven Principien der Vernunft im Fürwahrhalten nach einem subjectiven Princip derselben bestimmen. [WHD 136]
Die philosophische Orientierung läuft demnach auf eine Erweiterung der Sinnzusammenhänge hinaus, wobei die Grenze zu bestimmen ist, bei der das Gebiet objektiver, wissenschaftlicher Allgemeingültigkeit verlassen wird.
Man kann die Logik von Jaspers auch als Metatheorie einer sozialen Logik auffassen, die sich bereits vor jeder speziell philosophischen Logik als allgemeine Logik des sozialen Zusammenlebens bis zum mythologischen Denken zurückverfolgen lässt—also bis zur Übergangsphase von der Prähistorie zu den Achsenzeiten. Dieser praktische Aspekt der Philosophie betrifft deren Verwirklichung in der Lebenspraxis, welche Folgen sie dort hat und wie sie umgekehrt von den Bedingungen dieser Praxis beeinflusst wird.
Geschichtsphilosophische Theorien lassen sich dagegen als historische Logik zusammenfassen. Dabei ist auf die Bedeutung von Jaspers speziell als Geschichtsphilosoph hinzuweisen, der im Gegensatz zu herkömmlichen Phasenlehren und Epochentheorien hinsichtlich der Achsenzeiten eine eigenständige Theorie bezüglich der Geschichtsstruktur von Mentalitätsschichten vor und nach dem rein magischen Denken entwickelt hat.
Unter einem dynamischen Aspekt erfasst die philosophische Logik die Auseinandersetzung zwischen den historischen Grundmächten, die im interkulturellen Vergleich durch die Ausprägung der Freiheitsidee bestimmt wurden und werden. Insofern berührt sich die Existenzphilosophie von Jaspers mit der Geschichtsphilosophie von Hegel. Lediglich das Apodiktische der Aussagen über das Totum der Geschichte wird beim ersteren zurückgenommen. Auch für ihn ging es um die Frage nach dem Sinn, nach Ursprung und Ziel der Geschichte. Diese Fragen seien nur zu beantworten, wenn die wesentlichen Phasen der Weltgeschichte erfasst werden. Die Wissenschaften waren dabei für Jaspers nur eine Phase bei der Entwicklung der Freiheitsstufen.
In einem früheren Beitrag habe ich sechzehn Beispiele für die praktische Bedeutung der Jaspers-Logik dargestellt. Sie betreffen unter anderem seine Erziehungs- und Therapieziele, die Kausalitätstheorie, die Semiotik, die Ethiktypen, die Begriffe von Geist, Vernunft, Autorität und Ordnung, sowie die Freiheits- und Kommunikationsstufen. Bei den Debatten über die Willensfreiheit im Kontrast zum Determinismus wird nur selten die Antinomienlehre von Kant berücksichtigt (wonach es auch eine Kausalität durch Freiheit gibt), jedoch nie die Jaspers-Logik, aus der sich Stufen der Freiheit ergeben.
Dazu noch folgende Ergänzungen: Nur mit Hilfe seiner Logik-Kategorien ist es möglich das in den politischen Schriften von Jaspers immer wieder auftauchende Spannungsverhältnis zwischen rationaler Verstandeshaltung und Vernunft zu verstehen. Hierzu gehören die Gegensätze zwischen Fachphilosophie und praktischer Philosophie; von wiederholbaren und ursprünglichen Handlungen; von Wissenschaften als Lenkungsmitteln beziehungsweise als Orientierungsanleitungen für das Handeln; von Planung und Selbstorganisation (beziehungsweise Entwicklung); von kontrollierter und offener Kommunikation; von den verborgenen Stimmungen, die den Verstand überfluten, und der Klärung dieser Grundstimmungen durch Einbeziehung anderer psychischer Grundfunktionen; ferner die Unterscheidung zwischen den Figuren des Nur- Politikers und des Staatsmanns (beziehungsweise zwischen dem rein Politischen und dem Überpolitischen); von Anpassung und Freiheitsstreben; vom Leiden an Widersprüchen, Aporien, und Konflikten im Gegensatz zum Leben der Vernunft mit den Antinomien.
Der Verstand sagt: Mit Glaubenskämpfern kann man nicht reden. Die Vernunft hält dagegen: Man muss es immer wieder versuchen. Seit 1945 lebt die Menschheit mit der Wahrscheinlichkeit, dass die atomare Apokalypse real werden kann. Es handelt sich um die von Köstler angesprochene Testphase für jede Zivilisation, welche die thermonukleare Technologie entwickelt hat: ob das umgreifende Verbindungsmedium Vernunft stark genug ist, diese Phase zu überleben.
Die Jaspers-Logik wäre auch eine Ressource, um eine bloß politische oder wissenschaftliche (soziologische) von einer philosophischen Ideologiekritik unterscheiden zu können; um dann auf der Grundlage der philosophischen Ideologiekritik die einzelnen Kriterien für den Ideologiebegriff neu zu bestimmen und anschließend kritisch zu analysieren.
Damit ist untrennbar die Frage nach einer Neubegründung eines Naturrechts auf der Grundlage einer adäquat differenzierten Anthropologie verbunden. Hier gibt es im Kontrast zu Thomas Hobbes' Rechtfertigung der absolutistischen Monarchie und im Gegensatz zum absolutistisch, vertragsrechtlich, oder kommunikationstheoretisch begründeten Legalismus die naturrechtlich-sozialrechtliche Tradition (unter anderen von Baruch Spinoza, Gottfried Wilhelm Leibniz, Christian Wolf, Kant, Fichte und Hegel). Individualrechtlich geht es um die Garantie des Persönlichkeitsrechts (Kant), die Anerkennung der Person (Carl Schmitt ab 1943), ihr Existenzrecht und um ihr Recht auf den Zustand des gereiften Lebens (Werner Maihofer): als Recht auf Leiblichkeit, Liebe, Wahrheit, Religion, und Kunst. Darüber hinaus entwickelten Krause und seine Schüler eine synoptische Naturrechtslehre. Hauptanliegen des Panentheismus ist es, allen Menschen einzuräumen, die Vernunftideale in harmonischer Gemeinschaft als ihr Naturrecht anzustreben.
Wenn die unterschiedlichen psychischen Funktionen (vitaler Sinnlichkeit, der drei Be-wusstseinsformen, der komplex-geistigen Leistungen und der existentiellen Entscheidungen in den Grenzsituationen) nicht differenziert werden, kommt es zur babylonischen Sprachverwirrung, bei der einmal von Seele oder psychischen Phänomenen allgemein, dann von Bewusstsein oder Geist (mind) oder dem Mentalen die Rede ist. Mit solchen Desorientierungen wird die Gleichheit psychologischer und physikalischer Ereignistypen behauptet und von der Forschung erwartet, die Psychologie auf Neurophysiologie reduzieren zu können (eliminatorischer Materialismus); oder die Interaktion zweier Welten fingiert, die durch eine dritte Welt der Gedankeninhalte ergänzt wird (wie es zum Beispiel Karl Popper und John Eccles propagierten).
Eine differenzierte Semantik von Bildsprache, Semiotik, Symbolik, und Chiffren könnte die Widersprüche zwischen Privatsprache und historisch gewachsener Sprache überzeugender lösen, indem sie Bilder und Archetypen, Zeichen mit eindeutiger Bedeutung und Symbole mit hintergründiger Bedeutung zu unterscheiden vermag; sowie subjektive Signa des Selbst und Chiffren der Transzendenz als Erfahrungen der Individuation differenziert. Ferner objektiv eindeutige Begriffe von Worten mit Begriffskern und einem Begriffshof, den die Begriffsanalyse kaum zu erfassen vermag, auseinanderhält. Ohne solche Differenzierungen kommt es zur Spaltung von Symbolverarbeitungshypothese (wonach kognitive Abläufe durch formale und syntaktische Prozesse beschreibbar sind) und mentaler Symbolverarbeitungstheorie (bei der umstritten ist, ob kognitive Prozesse von mentalen Zuständen abhängig oder unabhängig sind); und die Diskussion wie eine Abhängigkeit naturalistisch oder bloß instrumentalistisch erfasst werden kann wird damit unabdingbar.