Karl Jaspers' Philosophische Logik ist ein Werk, von dem nur der erste Teil mit dem Titel Von der Wahrheit vollendet ist. Bereits dieser erste, abgeschlossene Teil beläuft sich auf über eintausend Seiten. Die Philosophische Logik sollte jedoch zwei Teile haben und im zweiten Teil drei Lehrbücher in drei Bänden enthalten: Methodenlehre, Kategorienlehre und Wissenschaftslehre. Statt in der Darstellung und Entwicklung seiner Logik von Problemen der Einzelwissenschaften und der Wissenschaftstheorie auszugehen, wie Jaspers es in seiner Aneignung von Philosophie und insbesondere von der Kantischen Philosophie als Psychopathologiker, Psychiater and Psychologe tat, geht er in Von der Wahrheit, im ersten abgeschlossenen Teil seiner philosophischen Logik, von dem aus, was als Wahrheit, Logik, und Sein alle Wissenschaften transzendiert, übergreift, und umgreift.
In seiner philosophischen Logik setzt Jaspers es sich zur Aufgabe, die Erscheinung von Wahrheit in der Zeit zu entfalten. Er ist mehr an den philosophischen Grundlagen der Logik interessiert als an den Sachverhalten, die bereits Gottlob Frege, Bertrand Russell, und Ruldolf Carnap sowie die gegenwärtige philosophische Logik beschäftigten. Er nimmt zurecht an, dass es zwar nur eine Wahrheit gibt, dass aber diese Wahrheit stets nur aus der geschichtlichen, sozialen, und kommunikativen Situation, in der man steht, zu verstehen ist. Wahrheit ist zwar nicht relativistisch zu verstehen, sie ist aber auch ohne die Beziehung zur gegenwärtigen Lage gar nichts. Die Wahrheit hat also auch immer eine Beziehung zur menschlichen Existenz.
Logik versteht Jaspers, wie die Marburger und die Südwest Schulen des sogenannten Neukantianismus, vom Logos her. Dies ist eine Konzeption, die Jaspers bereits bei Emil Lask begegnet ist. 1914 besuchte Jaspers bereits als Mediziner Kant Vorlesungen des sagenumwobenen und früh im ersten Weltkrieg gefallenen Emil Lask, nachdem Lask mit Heinrich Rickert nach Rickerts Berufung nach Heidelberg gekommen war.
Und wie bei der späten Marburger Schule, sind sowohl bei Lask und bei der Südwest Schule wie auch bei Jaspers, Logos, Logik und Sein eine letztlich untrennbare Einheit. So schreibt zum Beispiel Paul Natorp:
Doch, mag nun Heraklit, mag Plato es so gemeint haben, so oder anders: jedenfalls so verstehe ich den "Logos," wenn ich von "Allgemeiner Logik" rede. So aber sollte der Standpunkt dieser "Logik" nicht ferner verwechselt werden können, mit dem irgendeiner Philosophie, welche meint, vom Denken ausgehen zu dürfen, als hätte sie es, voraus vor dem Sein; oder vom Sein, als hätte sie es, voraus vor dem Denken; oder vom Erkennen, als hätte sie es, voraus vor beiden...so ist Sein nur Sein des Denkens, Denken nur Denken des Seins; keins ohne das andere, oder eben das, was es ist, anders als in Beziehung auf das andere.
Das ist nun wohl soweit nichts Neues, sondern, wie gesagt, das alte Platonische, vielleicht schon Heraklitische. Auch der berühmte Satz des Parmenides von der Identität von Denken und Sein will, denke ich, nichts anderes besagen. Aber nicht er berichtigt damit den Heraklit, sondern Heraklit berichtigt ihn. Seine Entdeckung ist, daß das Eine nicht, weil das Eine, Vielheit, Werden, Gegensätzlichkeit—das Sein nicht, weil Sein, alles Nichtsein ausschließt; sondern das Eine ist es eben damit daß, es das Eine des Vielen, Ruhe der Bewegung, Koinzidenz der Gegensätze—das Sein ist es damit, daß es das Sein des Nichtseins ist, d. h. nichts anderes als jenes Letzte, das aus sich die Gegensätze, die es also von Haus aus in sich trug, hervorgehen läßt und stets wieder in sich zurücknimmt; wenn wir nach unserer Weise als Handlung beschreiben, was in ihm selbst nur ewiger Bestand ist; eine Denkrichtung, die, als ganze, vor der eleatischen Gegenstellung und Auseinanderreißung von Sein und Nicht, Einheit und Vielheit, Ruhe und Bewegung, anders denn als Antwort darauf, nicht wohl möglich war. Plato aber (im "Sophisten") scheint mir diesen Gedanken Heraklits voll aufzunehmen und durchzuführen, das was beim ephesischen Philosophen als eine ungeheure Paradoxie, mit dem stärksten Bewußtsein einer solchen, sich in orakelhaften Sprüchen erst mühsam ans Licht rang, in strenger logischer Durcharbeitung zu klären: Nicht vom Sein ist auszugehen, als hätte man es, und als "sei" nur es, als "sei" in keinem Sinne das Nichtsein. Vielmehr das Sein selbst ist auch wiederum nicht, so wie das Nichtsein auch selber ist. Erst die Korrelation beider, die sich klärt im Sinne des "Andern," als Andern des Einen, wie das Eine das Eine des Andern ist, begründet beide und begründet damit den Logos, das Urteil des Denkens, als echtes, nämlich fortschreitendes, und damit wirkliches Erkenntnisurteil, d. h. das nicht bloß urteilt: A ist A, sondern A ist B, "Etwas ist etwas Andres"; was so viel später erst Kant, aufmerksam geworden durch Humes "Erinnerung," voll wiederentdeckt, wenn auch unzulänglich ausdrückt als die ursprünglich "synthetische" Funktion des Denkens gegenüber der analytischen...
Das ist das Rätsel, und ist des Rätsels Lösung: die Ursetzung des Logos setzt beides: Sein und Nichtsein, Sein des Nichtseins, das zugleich Nichtsein des engverstandenen, nur bejahen, alles Nein ausschließen wollenden Seins bedeutet. Dies ausschließende, allen Neinsinn ablehnende Ja oder Icht ist (zeigt Plato im "Sophisten") nicht nur ebenso, sondern in noch höherem Grade unwegsam (ἄπορον) als das schlechthin verneinende, jeden Jasinn verschmähende Nein oder Nicht. Und wenn im "Sein" des Nichtseins das Ja den Sieg behält, so behält es ihn allein dadurch, daß es das Recht des Nein voll anerkennt und bewahrt, wie jeder wirkliche Sieger das Recht des Besiegten.
Menschen nehmen zwar immer am Sein und am Logos teil, aber letzten Endes entziehen sie sich uns. Logos und Sein, wie auch unsere Vernunft, geben allem, was wir verstehen können, Sinn, jedoch umgreifen und transzendieren alles, was sich als Gegenstand oder Subjekt innerhalb einer Subjekt-Objekt Spaltung charakterisieren lässt.
Die Seinsfrage ist nicht, wie immer wieder von Martin Heidegger und gleich am Anfang seines Buches Sein und Zeit mit erfolgreicher und allgemein akzeptierter Verwegenheit behauptet wird, eine Fragestellung, die dieser mit erstaunlicher Originalität von der griechischen Philosophie neu übernommen hätte. Heidegger hat nicht nur die Seinsfrage von seinen Marburger Kollegen, Paul Natorp und Nicolai Hartmann sowie von Ernst Cassirer übernommen, sondern auch die Beziehung, die Heidegger zwischen der Seinsfrage und dem griechischen Verständnis der Wahrheit als Unverborgenheit hergestellt hat, ist bereits vor ihm von Nicolai Hartmann in Platos Logik des Seins hervorgehoben worden. Sie wurde ebenfalls von Paul Natorp in Vorlesungen vorgetragen, die Heidegger in Marburg gehört hätte, bevor Natorp 1924 gestorben ist. Hartmann schreibt:
Bei Plato hat ἀλήθεια noch vielfach den ursprünglichen, wörtlichen Sinn, der einfache Negation des λανθάνειν ist: ἀ-ληθής—"unverborgen." Es ist einer von jenen bedeutsamen Begriffen, die gleichsam handgreifliche Beispiele der in der Begriffsbildung sich betätigenden Methode des Nichtseins sind, indem ihr Gebrauch sie als durchaus positiv zeigt, während ihre Etymologie noch den negativen Ursprung erkennen läßt. Im weiteren Verlaufe der Sprachentwickelung verschwindet das Bewußtsein dieses Ursprungs fast ganz. Bei Plato und den Älteren läßt die Anwendung es noch zuweilen als lebendig erkennen. An Stellen, wo fundamentale Erörterungen im Gange sind, hat es Wert auf solchen negativen im Ursprung Gewicht zu legen, zumal es in solchen Fällen sowieso der Sache nach auf ein seiendes Nichtsein herauskommt,—wie sich an der υπό-φεσις sogleich zeigen wird.—Für diese Auffassung der ἀλήθεια spricht auch folgendes. λήθη bedeutet (nach Phäd. 75 D)...das "Verlorengehen" eines Wissens. Folglich muß die ἐπιστήμη in ihrer Nichtverlorenheit auch notwendig Unvergessenheit oder Unverborgenheit sein; das ist der genaue Sinn von ἀ-λήθεια—was der durchgehend enge Zusammenhang von ἐπιστήμη und ἀλήθεια bei Plato bestätigt. Man vergleiche hiermit auch das mythische Bild der Λήθη. Die Seelen der Gestorbenen müssen, ehe sie zu neuem Leben wieder auf die Welt kommen, durch das "Feld der Vergessenheit" hindurchgehen (τò τῆς Λήθης πεδίον, Rep. 621A). Dort verlieren sie also die ἀλήθεια, die sie von Anbeginn geschaut haben. So kommen sie des Wissens beraubt zur Welt, um auf dem mühevollen Wege der "Wiedererinnerung" das von der Λήθη Verschlungene wiederzugewinnen: Die ἀλήθεια des Seienden.
In seinem späteren Werk, Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis, schreibt Hartmann:
Es wäre ganz falsch, aus der inneren Ideenschau zu schließen, das Wesen der Idee sei ein bloß immanentes, logisch ideales. Wohl entdeckte Platon im Ideenreich die logische Sphäre. Aber der Hauptgedanke dabei war, daß zugleich eine metaphysische Sphäre von Seinsprinzipien sei. Das heißt, der Grundgedanke war ein ausgesprochen ontologischer: das Wesen der idealen Gebilde (z. B. der mathematischen Verhältnisse) ist zugleich das Wesen der realen Gebilde. So darf man die transzendente Identität der Prinzipien im Sinne der Ideenlehre zusammenfassen. Der Gedanke hat an denselben Ideen teil, an denen auch die Dinge teilhaben; daher die Möglichkeit apriorischer Wesensschau (προειδéναι). Den stärksten Beleg für diesen Sachverhalt bietet vielleicht die Lehre von der Idee des Guten dar, in welcher direkt zu lesen steht, sie sei nicht nur dasjenige, was Erkenntnis und Wahrheit hervorbringt (dem Erkannten die Unverborgenheit, dem Erkennenden aber seine Fähigkeit verleiht), sondern auch dasjenige, was den Dingen das Sein und die Wirklichkeit verleiht.
Die späte Marburger Schule hat auch wie später Heidegger und Jaspers, Wahrheit im Griechischen ἀλήθεια (aletheia), und wie sie meinten, im griechischen Sinne, als Unverborgenheit verstanden. Für Jaspers ist Wahrheit primär Offenbarkeit. Eine Abhängigkeit Jaspers von Heidegger in Hinsicht auf die Bedeutung der Frage nach dem Sein und von Wahrheit als Unverborgenheit beruht daher auf einem Missverständnis hinsichtlich der zentralen Fragestellung der deutschen Philosophie in den Jahren zwischen den Weltkriegen. Die Seinsfrage wurde, im grossen Gegensatz zur heutigen Interpretation der kantischen Philosophie, damals im Zusammenhang mit der systematischen Struktur der kantischen Philosophie gesehen. Heidegger hat erst 1925, als er mit Cassirer um die Professur in Marburg konkurrierte und um seine akademische Existenz kämpfte, eine systematische und transzendentalphilosophische Wende von dem früher beabsichtigten Aristoteles-Buch hin zu dem unter grossem Druck geschriebenen Sein und Zeit gemacht. Das geschah zu einer Zeit als Jaspers Heidegger zu einem systematischen Philosophieentwurf nicht einmal fähig erachtete. Die von Cassirer in seiner Einleitung zur Philosophie der Symbolischen Formen und von Jaspers später in seiner Kant-Darstellung betonte Wichtigkeit des Schematismus-Kapitels in der Kritik der reinen Vernunft wird Heidegger zum Problem. In seinem ersten Buch nach Sein und Zeit, Kant und das Problem der Metaphysik, wird Heidegger nach Cassirer die Rolle des Schematismus-Kapitels, der Kopernikanischen Wende und der Konzeption des Menschen mit Cassirer zum Problem der Metaphysik. Cassirer hatte seine eigene Konzeption der symbolischen Form als dynamisch-systematische Antwort auf das Grundproblem bei Kant betrachtet und auch als dynamisch-systematische Ausführung der Kopernikanischen Wende bei Kant. Die Kopernikanische Wende wird bei Lask "die Kopernikanische Tat" genannt, und bei Cassirer auch als "die Kopernikanische Drehung" bezeichnet.
Cassirer interpretiert Kants Kopernikanische Drehung bereits 1918 in seinem Buch Kants Leben und Lehre im Kapitel über die Kritik der reinen Vernunft als eine Abweisung der scholastischen Ontologie und der Schulphilosophie des Rationalismus und Empirismus sowie als eine systematisch-dynamische Einsicht in die Fragwürdigkeit des Seins. In seinem Kant-Buch ist gemäss Cassirer Kant der erste, der die Seinsfrage gestellt hat. Kant hat die Frage nicht nur gestellt, er hat mit der Kritik der reinen Vernunft eine systematische und dynamisch-historische Lösung für die Seinsfrage entworfen, die Cassirer dann in der Nachfolge in seiner eigenen Philosophie der Symbolischen Formen systematisch entwickelt hat. Cassirer verstand die Idee der symbolischen Form als systematische Antwort auf die Einheit und Mannigfaltigkeit der Seinsfrage in allen Kultur - und Wissensbereichen. In der Einleitung zu seiner Philosophie der Symbolischen Formen und in seiner Geschichte der Griechischen Philosophie von den Anfängen bis Platon hob Cassirer hervor, dass Platon bereits die Seinsfrage in aller Fragwürdigkeit, die dem Sinn von Sein zu eigen ist, ins Zentrum seiner Philosophie und seiner Auffassung des Logos der Idee stellt. Er beschreibt seine Darstellung folgendermassen:
Sie faßt die Geschichte der griechischen Philosophie als die Geschichte des Sich-selbst-Findens des "Logos"—und sie sucht zu zeigen, wie hierin zugleich das erste klare und sichere Bewußtsein, die erste geistige "Gestalt" der Welt, der Sittlichkeit und des Wissens gewonnen wird.
Zur Seinsfrage schreibt Cassirer:
So besteht die entscheidende Leistung, die Platon hier in voller Bewußtheit für sich in Anspruch nimmt, in der Entdeckung der inneren Problematik des Grundbegriffs, auf dem alle vorsokratischen Systeme sich aufbauen. Sie alle hatten gefragt, was das Sein sei und wie es zu bestimmen sei. Aber muß nicht, wenn nach der näheren Bestimmung eines Begriffs gefragt wird, zuvor seine Bedeutung feststehen? Lassen sich sichere Aussagen über einen Inhalt, über seine Beschaffenheit und Eigenschaften machen, ehe erkannt ist, was es selbst "ist"? Man erkennt hierin zugleich, inwiefern Platon, indem er diese Frage stellt, nicht nur über die Lehren der Vorsokratiker, sondern auch über Sokrates selbst hinausgeht. Zwar die Form der Frage als solche verdankt er völlig dem Sokrates: das ti esti wird, als das bleibende Instrument aller Philosophie, der Methode der Sokratischen Gesprächsführung entnommen. Aber zu höchster Allgemeinheit wird nun diese Form entwickelt, indem sie sich gewissermaßen gegen sich selber wendet und sich in sich selbst reflektiert. Was das Gute, was das Gerechte...sei...hatte Sokrates gefragt—hier aber tritt all diesen Sonderfragen...die eine allumfassende Frage gegenüber, was das Sein selbst ist. [PGP 85]
Wenn Jaspers das Sein mit dem Logos und mit der Logik in Zusammenhang bringt, dann weiss er sich einig mit Natorp und Cassirer und uneinig mit Heidegger, der 1928 in Davos einen grossen Angriff gegen den Neukantianismus und gegen die Tradition des Logos und der Logik vorgenommen hatte. Das Alogische ist für Jaspers und Lask Grenze des Logischen, für Heidegger unterminiert das Alogische und Irrationale alles Logische. Jaspers steht aber nicht nur im Gegensatz zu Heidegger, sondern auch im Gegensatz zur Marburger Schule, denn Jaspers sieht die Problematik der Logik und des Seins vor dem Hintergrund des Existenzdenkens von Søren Kierkegaard und Friedrich Nietzsche. Es ist die Sympathie mit der Lebensphilosophie von Henri Bergson, Georg Simmel, und Wilhelm Dilthey, verbunden mit der Existenz- und Lebensphilosophie von Kierkegaard und Nietzsche, die Heidegger 1920 in seiner unveröffentlichten Rezension von Jaspers' Psychologie der Weltanschauungen bekämpfen will, wie er in einem Brief an Heinrich Rickert schreibt:
Dieses Buch muss meines Erachtens, gerade weil es sehr viel bietet, von überall her gelernt hat und einem Zug der Zeit entgegenkommt, auf das schärfste bekämpft werden.
Im Grunde genommen hat Heidegger die existenziellen Tendenzen in seinem Denken nur vorübergehend übernommen, um sich dem Zeitgeist, dem "Zug der Zeit," anzupassen. Kierkegaard und Nietzsche waren Denker, die ihm in ihrem Wesen immer fremd blieben. Er hat das Interesse an Kierkegaard und Nietzsche von Jaspers und von seinem Schüler Karl Löwith übernommen; seine Zitate aus Kierkegaard stammen fast ohne Ausnahme von Jaspers. In den dreissiger Jahren erschien Jaspers' dreibändige Philosophie, Teile von Von der Wahrheit, Vernunft und Existenz, und Existenzphilosophie, welche international sehr stark rezipiert wurden und insbesondere Kierkegaard und Nietzsche ins Zentrum der Existenzphilosophie stellten. Nietzsche, Kierkegaard und Kant wurden von Jaspers auf eine Weise zusammengebracht, die schon Heidegger von 1920 bekämpfen wollte. Heidegger hat sich folgerichtig von Kierkegaard und seiner früheren Interpretation von Nietzsche sowie von der Existenzphilosophie distanziert, auch Kant wird mit der Metaphysik verabschiedet. Während Heidegger im ersten Band seiner Nietzsche-Vorlesungen den Willen als Selbst in seiner Zeitlichkeit und in Bezug auf die Ewige Wiederkehr des Gleichen aufgefasst hat, distanziert Heidegger sich von dieser von Jaspers und Löwith inspirierten Interpretation im zweiten Band. Nietzsche wird zum letzten Metaphysiker und zum Philosophen des Willens zur Macht und der Ermächtigung des Seins durch die Technik.
Jaspers' Konzeption der Logik und des Seins ist teils im Gegensatz zur Existenz aber auch am Ende in Einheit mit der Erfahrung von Existenz konzipiert. Das hat für Jaspers, im Einklang mit Dilthey, Cassirer, und Heidegger auch eine Berechtigung in der Gesamtkonzeption von Kants kritischer Philosophie. Schon die Kritik der reinen Vernunft endet mit einer systematischen Struktur, mit einer Architektonik der reinen Vernunft, die in die Geschichte der reinen Vernunft eingebettet ist. Hier geht es um ein Philosophieren im Hier und Jetzt, ein Philosophieren, das im Gegensatz zur Schulphilosophie von den "wesentlichen Zwecken der menschlichen Vernunft" handelt. Das sind Zwecke, die in einem kosmisch-kosmopolitischen Weltbegriff der Philosophie zum Ausdruck kommen. Für Jaspers gilt zwar das Systematische als Ziel, aber das abgeschlossene System lehnt er ab. Mensch, Sein und Logos erweisen sich immer in der Transzendenz des Umgreifenden. Diese Konzeption ist eine Weiterentwicklung von Kants Ideenlehre, die Jaspers bereits 1913-1914 als das Herzstück von Kants Philosophie betrachtet hat.
Jaspers hat Kant rückwärts rezipiert beginnend mit seinen letzten Schriften und insbesonders mit den Werken Der Streit der Fakultäten und Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. In Der Streit der Fakultäten diskutiert Kant die Beziehung zwischen Medizin und Philosophie und die therapeutische Rolle der Philosophie. Der Philosophie und der philosophischen Fakultät wird im Gegensatz zu den sogenannten oberen Fakultäten in der Universität eine übergeordnete Rolle zuerkannt. Die oberen Fakultäten, die Theologische, die Juristische und die Medizinische sind für ihn obere, weil sie der Regierung, der Obrigkeit, näherstehen und weniger unabhängig sind. Die Theologische Fakultät hat für das Seelenheil, die Juristische Fakultät für das Heil des Menschen im Zivilbereich und die Medizinische Fakultät für das Heil des physischen Menschen zu sorgen. Kant behauptet, dass die Philosophie allein die Fähigkeit besitzt, das Gute und das Wohl und das Heil zu erkennen und herbeizuführen, das den ganzen Menschen und die ganze Gesellschaft angeht. Die philosophische Fakultät hat dabei die Aufgabe, öffentlich, autonom und unabhängig nach der Wahrheit zu suchen und sie auch öffentlich auszusprechen. Zu dieser Wahrheit gehört das Eintreten für die Menschenrechte und die Autonomie und die Selbstverwaltung, welche der menschlichen Geschichte erst Sinn geben. Hierin sieht Kant auch die Kopernikanische Wende, welche die Revolution der Denkart und die Verwandlung des ganzen Charakters einer Person, einer Universität, einer Nation, der menschlichen Gattung und der ganzen menschlichen Geschichte herbeiführt und ihnen Sinn gibt.
Die Konzeption des Werks Der Streit der Fakultäten hat Jaspers nicht nur deshalb besonders interessiert, weil er auch Kants Idee der Universität aus diesem Werk in seinen immer wieder neu herausgegebenen und modifizierten Variationen von Die Idee der Universität übernommen hatte, sondern auch weil Kants Konzeption der öffentlichen Rolle des Universitätsprofessors und vor allem des Philosophen dort in seiner ganzen politischen und auch philosophischen Bedeutung zu Tage tritt. Die Philosophie hat die Rechte der Menschheit öffentlich und systematisch zu begründen und zu verteidigen. Jaspers war zutiefst an Kants Auffassung der Revolution der Denkart interessiert und identifizierte sich mit der Rolle, die Kant dem Philosophen zuerkannte. Jaspers hat die Verschmelzung von den Grundlagen der Logik und Mathematik mit der systematischen und normativ-politischen Revolution der Denkart bei Kant erkannt und sich zu eigen gemacht. Jaspers sieht bei Kant alles in einem Zusammenhang, die Politik und die Religion gehören zur Revolution und zur Revolution der Denkart, die den Charakter und den ganzen Menschen und die ganze Natur und die Kulturgeschichte der Menschheit umfasst. Dies ist ebenso fundamental Jaspers' philosophische Einstellung wie auch seine Konzeption von Logik und Wahrheit.
In der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht diskutiert Kant unter anderem verschiedene Formen der Geisteskrankheit. Sie sind ihm Formen des Zusammenbruchs einer gemeinsamen Welt, einer Welt, die der psychisch und moralisch gesunde Mensch mit anderen verstandesmässig und gefühlsmässig teilt. Diese gemeinsame Welt der Öffentlichkeit bleibt für Kant und für Jaspers normativ. Geisteskrankheit wird oftmals durch mangelnde Teilnahme an einer gemeisamen Welt hervorgerufen. Diese ist für Kant auch Mangel an Pluralismus, wobei der Pluralist sich als Weltbürger und nicht, wie der Egoist oder der Geisteskranke, sich als die ganze Welt sieht. Auch die Krankheit des Gemeinwesens erwächst aus einem Mangel der Publizität und der gemeinsamen Verständigung und mitteilender Gefühle. In der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht ordnet Kant das Denken auch dem Selbstgespräch unter. Die Sprache und das Miteinandersprechen werden als Grundlage des Denkens gefasst. Dieses Miteinandersprechen ist vor allem begründet in einer freien öffentlichen und auch pluralistischen politischen Ordnung, für die der Philosoph sich einzusetzen und zu kämpfen hat.
Jaspers gibt der freien und grenzenlosen Kommunikation und sogar der Liebe eine Fundamentalstellung im Verstehen von Wahrheit, Sein, und Vernunft. Für den methodologischen Solipsismus in der Nachfolge von Carnap gilt Jaspers' Konzeption als eine in sich problematische epistemologische Einstellung und in meinem Ermessen eine grundsätzlich falsche Interpretation von Kant. Jaspers begreift aber, dass wenn man einmal die Kohärenz einer Welt einzuräumen bereit ist, die so von der menschlichen Umwelt abgelöst ist, wie der methodologische Solipsismus es fordert, dann ist bereits sowohl in der Erkenntnistheorie wie in der Metaphysik alles verloren und die den Menschen vertraute Welt nicht mehr erreichbar.
Beim Logos sind für Jaspers die Sprache und die Kommunikation konstitutiv. Denken gibt es für Jaspers, wie zumindest für den späten Kant der Anthropologie eigentlich nur als sprachliche Verständigung. Wer denkt, spricht zu sich selbst und hat schon im Selbstgespräch das Gespräch mit anderen verinnerlicht. Das Gespräch und die Kommunikation mit anderen hat das Primat
Mitteilbarkeit und Mitteilung gehören zum Wahrsein selber. Ich gelange zur Wahrheit nur unter der Bedingung grenzenloser Kommunikation. Wahrheit zeigt sich nur in Erscheinungen, die unlösbar von Kommunikation sind. Der Sinn von Wahrsein ist wesentlich in Kommunikation und nie ohne sie. [VW 587]
Logik und Wahrheit bestehen für Jaspers, wie auch für Kant, stets in der Möglichkeit, durch Gespräch und durch öffentliche Auseinandersetzung mit der eigenen Situation und der allgemeinen Lage auf das hin zu transzendieren, was jede konkrete Tatsache, Sachverhalt oder Sachlage übersteigt und sich also als das umgreifende Sein erweist. Die Transzendenz, die im menschlichen Selbstbewusstsein fundiert ist, ist das, was für Kant und für Jaspers Bewusstsein überhaupt ist. So ist für Kant die synthetische Einheit der Apperzeption die Fähigkeit, sich systematisch in Gedanken und im Tun in beliebig viele Standpunkte zu versetzen, die dem Bewusstsein überhaupt zugrunde liegen. In §16 der Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe schreibt Kant:
Und so ist die synthetische Einheit der Apperzeption der höchste Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik und nach ihr die Transcendental-Philosophie heften muß, ja dieses Vermögen ist der Verstand selbst.
Im Kanon der reinen Vernunft zeigt Kant, dass die Zweckmässigkeit, die für den Verstandesgebrauch vorausgesetzt wird, und die man nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Natur entdecken muss, ihre Grundlage in der Möglichkeit von solchen Handlungen, in denen die praktische Vernunft sich verwirklicht, hat (A 816-7/B 844). Er behauptet sogar, dass "die Existenz der Vernunft" in der öffentlichen Freiheit dieser kommunikativen Handlung (und in der kritischen Untersuchung, die kommunikative Handlung voraussetzt) besteht (A 738/B 866). Auf der Grundlage der objektiven Einheit der Apperzeption und auf der Öffentlichkeit, die sie sowohl stiftet als auch voraussetzt, beruhen nicht nur die normativen Prinzipien der Logik und die logischen Funktionen zu urteilen, die Kategorien und die Ideen in theoretischer und praktischer Bedeutung, sondern auch die Rechte der Menschheit und die republikanischen Grundprinzipien des Staates und die Möglichkeit einer kosmopolitischen Einheit aller Weltbürger, so wie Kant das am Ende seiner Anthropologie in Aussicht stellt und Jaspers es in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg aufnimmt.