1947 publiziert Karl Jaspers auf ungefähr 1050 Seiten (ohne Register) den ersten Band seines Buchprojekts Philosophische Logik mit dem Titel Von der Wahrheit. Dieser erste Band enthält eine Wahrheitslehre, die auf einer Bestimmung des Umgreifenden und dessen Verständnis beruht. In einem zweiten Teil hätten drei Bände folgen sollen, nämlich eine Methodenlehre, eine Kategorienlehre und eine Wissenschaftslehre. Diese Philosophische Logik sollte sein zweites philosophisches Hauptwerk nach seinem bisherigen philosophischen Hauptwerk Philosophie werden. Das vierbändige Mammutprojekt blieb jedoch unvollendet. Erst 1991 haben Hans Saner unter der Mitarbeit von Marc Hänggi in einem Band mit dem Titel Nachlaß zur philosophischen Logik "aus Jaspers' Aufzeichnungen die geplanten Folgebände rekonstruiert."
Im Folgenden geht es nur um Jaspers' Idee einer "philosophischen Logik." Der Begriff erinnert nicht von ungefähr an Immanuel Kants Transzendentale Logik und an Georg Friedrich Wilhelm Hegels spekulative Wissenschaft der Logik. Da beide dieser Logiken keine Logik im klassischen Sinne der formalen Logik von Aristoteles bis Kant, Edmund Husserl, und Gottlob Frege sind, ist zuerst zu klären, was Jaspers unter einer philosophischen Logik versteht. Andernfalls sind nur semantisch bedingte Missverständnisse und unproduktive Diskussionen zu erwarten. Jaspers scheint sich dieser Gefahr bewusst gewesen zu sein, denn er schickt gleich zwei von einander getrennte Einleitungen voraus, nämlich eine Einleitung zum Gesamtwerk, mit dem Titel "Erste Einleitung: Über philosophische Logik," welche die versuchsweise Klärung eines "Vorbegriffs der Logik," den Sinn der philosophischen Logik, ihren Bezug auf die Geschichte der Logik, sowie den Aufbau und die Gliederung seiner philosophischen Logik beinhaltet. Dem folgt eine Einleitung die sich auf den ersten Band, Von der Wahrheit bezieht, mit dem Titel "Zweite Einleitung: Ansatz zum Denken der Ursprünge" (VW vi).
Im ersten Teil der Einleitung zum Gesamtwerk präsentiert Jaspers sein Verständnis von "Wahrheit in der Zeit," der für seine philosophische Logik "einen orientierenden Charakter" haben soll (VW 1). Im zweiten Teil dieser Einleitung beschreibt Jaspers den Sinn der philosophischen Logik anhand ihres Charakters und ihrer potentiellen Wirkungen. Im dritten Teil präsentiert Jaspers einen enzyklopädischen Überblick zur Geschichte der Logik, ihre historischen Ursprünge, ihren Namen, ihre bisherigen Formen oder Richtungen, und er bestimmt ihre gegenwärtigen Aufgaben. Im vierten Teil skizziert Jaspers den Aufbau und die Gliederung seiner geplanten philosophischen Logik (VW 1-28).
Der Ausdruck "Logik" ist notorisch mehrdeutig. Unter einer Logik versteht man gewöhnlich entweder (1) eine bestimmte kognitive Disziplin, die in Europa ursprünglich von Aristoteles begründet wurde und an der sich seither viele Generationen von Philosophen, Logikern, und Mathematikern beteiligt haben; oder (2) eine von Philosophen, Logikern, und Mathematikern entwickelte Systematik bestimmter Formen des korrekten Denkens und Schließens, also das kognitive Resultat dessen, was in der Disziplin der Logik erstellt wird; oder (3) manche Philosophen sprechen von einer Logik der Begriffe, also davon wie bestimmte Begriffe logisch funktionieren und sich logisch analysieren lassen; oder (4) wiederum andere Philosophen sprechen von einer Philosophie der Logik als demjenigen Bereich der Philosophie, in dem Philosophen über Logik als Disziplin, als System, oder als logische Analyse von Begriffen nachdenken; oder (5) schließlich sprechen einige wenige Philosophen wie zum Beispiel Kant, Hegel, und Jaspers von einer Philosophischen Logik.
Was eine philosophische Logik sein soll, ist jedoch zumindest umstritten und nur an bestimmten disparaten Beispielen demonstrativ vorzuführen: Kants Transzendentale Logik in seinem Werk Kritik der reinen Vernunft und Hegels spekulative Wissenschaft der Logik gelten gemeinhin als Beispiele für eine philosophische Logik. Beide Werke werden von ihren Befürwortern und Interpreten manchmal auch als eine Erste Philosophie (prima philosophia) oder als eine Grundlegung ihrer jeweiligen Philosophie gelesen, gedeutet, und verstanden.
Eine solche philosophische Logik ist keine Logik im klassischen Sinne der Logik verstanden als Disziplin, als System oder als logische Analyse von Begriffen. Denn eine Logik im klassischen Sinne ist eine Systematik von Formen des korrekten Denkens und Schließens. Die aristotelische Syllogistik war die erste in Europa bekannte Logik in diesem Sinne und selbst Kant glaubte noch, dass die Logik seit Aristoteles keine wesentlichen Fortschritte gemacht habe.
Zeitgenössische Logikhistoriker, wie zum Beispiel William and Martha Kneale, glauben das nicht mehr und vermuten daher, dass Kant bestimmte Entwicklungen der Logik bei einigen Stoikern oder auch in der berühmten Logikschule von Port Royal nicht gekannt hat. Kant hat selbst Vorlesungen über formale Logik gehalten. Aber er konnte damals noch nicht wissen, dass es außerhalb der europäischen Philosophie auch indische und chinesische Studien und Schulen der Logik gegeben hat. Diese Tatsache darf als Hinweis auf die psycho-anthropologische Universalität des Logischen gedeutet werden, also auf die neuropsychologische Tatsache, dass Menschen eine genetische Anlage zur Entwicklung der Fähigkeit zum logischen Denken und Schließen als kognitiver Voraussetzung für den Erwerb einer ersten Sprache haben.
Kants Transzendentale Logik ist jedoch nach seinem eigenen Logikverständnis keine formale Logik und seine sogenannten Urteilstafeln wurden von ihm lediglich als eine vollständige Systematik der logischen Urteilsformen intendiert. Kant wollte mit ihnen nicht die aristotelische Syllogistik, sondern die aristotelische Kategorienlehre ersetzen, die er für zu rhapsodisch und für zu wenig systematisch gehalten hat. Außerdem hatte Kant wegen seiner von Anfang an umstrittenen Lehre von der Unerkennbarkeit der Dinge an sich nicht nur die aristotelische Kategorienlehre, sondern überhaupt jede Ontologie abgelehnt. Für Kant die Grundsätze des reinen Verstandes
sind bloß Principien der Exposition der Erscheinungen, und der stolze Name einer Ontologie, welche sich anmaßt, von Dingen überhaupt synthetische Erkenntnis a priori in einer systematischen Doctrin zu geben...muß dem bescheidenen einer bloßen Analytik des reinen Verstandes Platz machen.
Viele, aber nicht alle zeitgenössischen Logiker, Kantinterpreten, und Philosophen zweifeln an der Vollständigkeit von Kants Systematik der logischen Urteilsformen mit ihrer vorgegebenen Subjekt-Prädikat-Struktur. Michael Wolff hingegen hat sie verteidigt. Das Problem der Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel ist daher immer noch umstritten, zumal da es auch Urteile, Aussagen, oder Propositionen ohne diese internen Strukturen gibt, wie zum Beispiel "Es regnet."
Seit Frege und Ludwig Wittgenstein, Charles Sanders Peirce, Bertrand Russell, und Alfred N. Whitehead hat sich die formale Logik jedoch dramatisch verändert. Freges Begriffsschrift sollte primär der größeren Exaktheit in der Arithmetik dienen. Aufgrund dieses speziellen Anwendungsinteresses wurden an diese Formalsprache keine Ansprüche gestellt epistemologische und ontologische Bezüge zur Lebenswelt herzustellen.
Die Aristotelische Syllogistik und die traditionelle Logik der Begriffe galten dem frühen Wittgenstein des Tractaus Logico-Philosophicus sowie im Umkreis der Logischen Empiristen und Logischen Positivisten als überholt, da sie sich angeblich auf eine propositionale Logik und prädikative Logik der ersten Stufe zurückführen ließen. Deswegen geriet Kants Urteilslehre außerhalb des Neukantianismus und dem Kreis der Kant-Interpreten zunehmend in Vergessenheit.
Die folgenreiche Konzentration auf konkrete Aussagesätze in bestimmten Sprachen oder auf abstrahierte Propositionen als deren übersetzbare Inhalte anstelle von Urteilsakten beziehungsweise Urteilen und damit die Abstraktion von Kontexten in denen Subjekte Urteile fällen, oder von Situationen in denen Personen Aussagen machen, wurde am Anfang vom frühen Wittgenstein und von den Logischen Empiristen und Logischen Positivisten für einen unhintergehbaren Fortschritt in der Logik gehalten und angepriesen.
Nach und nach wurden jedoch auch von den Analytischen Philosophen in der Nachfolge der Logischen Empiristen und Positivisten verstanden, welche erheblichen Folgelasten ihr neues Verständnis von formaler Logik mit sich brachte, nämlich die Abstraktion von Subjekten oder von Personen, die in konkreten Situation bestimmte Urteile fällen oder andere vielfältige Sprechakte ausführen (wie zum Beispiel Aussagen, Befehle, Fragen, Gebote, Verbote, Erlaubnisse, und so weiter), erforderte immer neue Logiken bestimmter philosophischer Schlüsselbegriffe, wie zum Beispiel eine epistemische Logik epistemisch relevanter Begriffe wie "Glauben" und "Wissen"; oder eine temporale Logik von Aussagen über objektive Früher-Später-Relationen oder über die subjektiven Zeitphasen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; oder eine Modallogik der ontologisch relevanten Begriffe von Möglichkeit, Wirklichkeit, und Notwendigkeit; oder auch eine deontische Logik über die moralisch und rechtlich relevanten praktischen Begriffe von Geboten, Verboten, Erlaubnissen, und so weiter.
Die meisten Anhänger der Aristotelischen Syllogistik, sowie die meisten Anhänger der Kantischen Transzendentalphilosophie, und selbst die meisten Anhänger der Hegelschen Wissenschaft der Logik begrüßten diese neuere Entwicklung innerhalb der Analytischen Philosophie. Der anfängliche Triumphzug der Analytischen Philosophie im Gefolge des Logischen Empirismus und Positivismus galt spätestens ab den achtziger und neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts zunehmend als anfechtbar und kaum noch als berechtigt.
Nicht wenige, zuvor historisch und hermeneutisch weniger bewanderte Analytische Philosophen entdeckten daher die Vorzüge der paradigmatischen Denkansätze und Philosophien verschiedener Klassiker wieder: von Aristoteles und Platon, von Kant und Hegel, von Franz Brentano, Husserl, und Peirce.
Die beiden amerikanischen Pragmatisten William James und John Dewey gehören meines Erachtens nicht in diese erste Reihe, da deren Verständnis von Wahrheit als pragmatisch plausible oder gar nützliche Behauptbarkeit von Russell in seiner Kapazität als Logiker, Mathematiker, und naturwissenschaftlich interessierter Philosoph zurecht abgelehnt, kritisiert, und verworfen worden war.
Selbstverständlich konnte Jaspers weder zur Entstehungszeit seiner dreibändigen Philosophie noch zur Entstehungszeit seines Werkes Philosophische Logik etwas von dieser späteren Entwicklung der Logik und der Analytischen Philosophie nach seinem Tod geahnt haben. Aber diese Entwicklung gibt ihm im Nachhinein teilweise recht bezüglich seiner Einschätzung der formalen Logik im Anschluss an Frege, Wittgenstein, Russell, und Whitehead. Denn die Verengung der Logik auf Zwecke der größeren Exaktheit in ihrer Anwendung auf die Arithmetik bezeichnete Jaspers nicht ohne Grund als bloße "Logistik" (VW 15). Dieser Ausdruck wurde von Martin Heidegger und Bruno von Freytag-Löringhoff, zwei Gegnern der von Frege, Russell, und Wittgenstein eingeleiteten Wende zur Symbolischen Logik und Analytischen Philosophie in einem abschätzigen Sinn verwendet.
Sein anfänglicher Kollege Martin Heidegger hat vermutlich aus ähnlichen Gründen von einem bloß rechnenden Denken gesprochen. Beide hatten im Nachhinein ganz berechtigte Intuitionen in Bezug auf die eminenten Verluste für das philosophische Denken. Die meisten Analytischen Philosophen brauchten drei bis vier Jahrzehnte, um diese inhaltlichen Verluste ihrer oft voreiligen Formalisierungen und Symbolisierungen zu realisieren und zu korrigieren.
Sieht man einmal von den etwas verengten Formaten der meisten Logiklehrbücher ab, die auf die angeblichen Interessen von Studierenden der Philosophie anstelle von Studierenden der Mathematik zugeschnitten werden, stellt sich meines Erachtens erneut die philosophische Frage, was Logik eigentlich ist, was sie leisten kann und was sie leisten soll. Das Nachdenken über diese schwierige Frage fällt in das Fachgebiet der Philosophie der Logik als dem philosophischen Nachdenken über Logik. Es gibt nämlich auch eine Philosophie der Logik so wie es eine Philosophie der Mathematik gibt. Die Philosophie der Logik gehörte in der Schulphilosophie der Aufklärung noch wie die Epistemologie und Ontologie zu den Anfangsgründen oder zu den Voraussetzungen einer "Ersten Philosophie" im Sinne von Christian Wolff, oder einer "Elementaren Philosophie" im Sinne von Friedrich Heinrich Jacobi, oder zu einer systematischen Grundlegung der Philosophie.
Insofern ist Jaspers' Versuch einer vorläufigen Klärung des Begriffs der Logik als eines "Vorbegriffs der Logik" im Vorfeld seiner Philosophischen Logik ganz berechtigt und wieder überraschend aktuell. Mir scheint es jedoch fraglich zu sein, ob man angemessen verstehen kann, was das Logische als implizite Struktur des Denkens und Schließens in der menschlichen Kommunikation ist und was Logik als Disziplin oder als System der expliziten Prinzipien und Regeln des Denkens und Schließens sind, indem man die bisherige Geschichte der Logiken als formale Systeme des Logischen sichtet, vergleicht, einschätzt und bewertet.
Unter einer Logik als Disziplin verstehe ich im Anschluss an die formalen Logiken von Aristoteles bis Kant eine kognitive Disziplin, die das Ziel und die Aufgabe hat, eine Logik als formales System dieser Regeln des korrekten Denkens und Schließens zu entwickeln und darzustellen. Dabei setze ich im Einklang mit diesen paradigmatischen Philosophen voraus, dass es das Logische gibt, und das es sich dabei um implizite Regeln des folgerichtigen Denkens, Schließens, und Urteilens handelt, denen verbal und gestisch Kommunizierende im Alltag und in den Wissenschaften meistens intuitiv folgen und die durch eine Logik als formales System nur explizit gemacht und systematisch dargestellt wird. Eine Logik als formales System gleicht in dieser Hinsicht der Grammatik einer konventionellen Sprache L, welche auch nur die impliziten syntaktischen Regeln dieser gesprochenen Sprache L explizit macht und systematisch darstellt.
Sollten transkulturelle Vergleiche europäischer Logiken mit chinesischen und indischen Logiken zu dem Ergebnis führen, dass das Logische auch in diesen menschlichen Sprachen implizit ist, dann wäre die Kantianische Vermutung etwas berechtigter, dass das Logische universal ist. Aber solche weitreichenden Vermutungen gehen als hypothetische Verallgemeinerungen immer über die empirischen Daten und die vorhandenen Verifikationen hinaus, sodass ein vollständiger Nachweis gar nicht möglich ist. Ein vollständiger Nachweis wäre außerdem methodisch nur möglich, wenn Experten der Geschichte der Logik zugleich auch über die epistemischen und hermeneutischen Voraussetzungen der dazu erforderlichen sprachlichen, philologischen, und kulturwissenschaftlichen Kenntnisse verfügen würden.
Jaspers scheint jedoch nicht zu glauben, dass es das Logische in diesem Sinne unabhängig und vor jeder Logik als Disziplin und vor einem jeden bisherigen formalen System dieser Regeln des korrekten Denkens und Schließens in der sprachlichen und gestischen Kommunikation wirklich gibt. Daher sucht er sein Vorverständnis von Logik auch in einer vergleichenden Sichtung der bisherigen Logiken als formalen Systemen des logisch korrekten Denkens und Schließens und nicht in den alltäglichen Phänomenen des Logischen in der sprachlichen und gestischen Kommunikation selbst.
Jaspers verfehlt daher meines Erachtens in der Einleitung zu seinem Buchprojekt Philosophische Logik das Wesentliche des Logischen, nämlich die logischen Regeln des korrekten Denkens, Schließens, und Urteilens mit ihrem notwendigen und allgemein gültigen Prinzip des zu vermeidenden Widerspruchs, da er von einem temporalen Verständnis von "Wahrheit in der Zeit" ausgeht. Denn es handelt es sich um ein zeitlos gültiges Prinzip, das er selbst zu Beginn seiner Einleitung zum Gesamtwerk ständig unbemerkt vorausgesetzt hat, wie es vor ihm auch alle anderen Philosophen, Mathematiker, und Logiker in ihren bisherigen Denkansätzen, Formen, und Richtungen einer Logik als Disziplin oder als System des Logischen vorausgesetzt haben, weil sie es voraussetzen mussten, um etwas Sinnvolles aussagen zu können.
Diese Notwendigkeit gilt selbst für eine Philosophie der Logik, denn auch Philosophen, die über Logik als Disziplin oder als System des korrekten Denkens und Schließens nachdenken, müssen logisch korrekt über das Logische als Phänomen in der (sprachlichen oder gestischen) Kommunikation und über die Logik als Disziplin oder als System nachdenken, um etwas Sinnvolles aussagen zu können. Auch dreiwertige und mehrwertige Logiken sind dabei keine Ausnahme, sondern bestätigen die Notwendigkeit der allgemein gültigen Voraussetzung des logischen Prinzips des (zu vermeidenden) Widerspruchs.
Ohne Beachtung der zeitlos gültigen logischen Regeln des korrekten Denkens und Schließens, mit ihrem unverzichtbaren Prinzip des (zu vermeidenden) Widerspruchs, gibt es auch außerhalb der Logik als Disziplin oder als System und außerhalb der Philosophie der Logik ebenso wie auch außerhalb der ganzen Philosophie keine glaubhaften Narrative, keine verständlichen Gespräche, keine sprachliche Verständigung, keine zutreffenden Hypothesen, keine plausiblen Theorien, keine erfolgreiche Anwendung von Techniken, keine trefflichen ärztlichen Diagnosen, keine erfolgreichen Therapien, keine Aufdeckung von Verbrechen, keine gerechten richterlichen Urteile, keine erfolgreiche sprachliche Kommunikation, das heißt überhaupt keine sinnvolle sprachliche oder gestische Kommunikation, die ein Wesensmerkmal des Menschen ist, das ihn von allen anderen intelligenten Lebewesen auf der Erde so erheblich unterscheidet.
Außerdem müssen menschliche Informatiker alle Systeme künstlicher Intelligenz vom simplen Taschenrechner und Smartphone bis hin zum komplizierten Personal Computer und zu maschinengesteuerten künstlichen Sprachmodellen so programmieren, dass dabei das logische Prinzip der Widerspruchsfreiheit beachtet wird. Denn es handelt sich vermutlich nicht nur um ein zeitlos gültiges, sondern auch um ein universal gültiges Prinzip, das vermutlich auch für außermenschliche Formen künstlicher Intelligenz (KI) ohne eine lebendige, biodynamische Konstitution gültig ist. Da es in der kosmischen Weite des den Menschen bisher bekannten Universums vermutlich auch noch andere extra-terrestrische Formen natürlicher, biodynamischer Intelligenz gibt, gilt es vermutlich auch für sie und ihre erhofften Signale und Informationen, die Astrophysiker bereits seit einigen Jahren mit Radioteleskopen zu entdecken versuchen.
Diese empirische Vermutung, kann jedoch auch noch durch eine stärkere transzendentale Überlegung untermauert werden. Denn das Erstaunliche am Logischen ist doch gerade, dass es zeitlos gültige Prinzipien und Regeln des Logischen gibt, die der sprachlichen und der gestischen Kommunikation in der Zeit implizit sind. Doch das gilt vermutlich nicht nur für unsere menschliche Kommunikation, sondern vermutlich für alle sprachlich kommunizierenden intelligenten Lebewesen im ganzen Universum. Denn als Menschen und mithin als sprachlich kommunizierende intelligente Lebewesen auf der Erde und im entsprechenden Sonnensystem können wir uns nämlich gar nicht vorstellen, wie die kommunikative Vermittlung von sprachlichen Informationen oder gestischen Signalen in der sprachlichen Kommunikation bei einer Zulassung von Widersprüchen möglich wäre und verstehbar sein könnte.
Wenn jemand zu einem bestimmten Zeitpunkt tx kommuniziert oder signalisiert, dass es gerade regnet, und dann etwas später zum Zeitpunkt ty kommuniziert oder signalisiert, dass es gerade nicht mehr regnet, dann könnten sich selbstverständlich in der Zwischenzeit die lokalen Wetterverhältnisse so geändert haben, dass das kein Widerspruch ist, sondern dass es sich nur um zwei wahre Feststellungen zu zwei verschiedenen Zeitpunkten tx und ty handelt. Aber wenn es sich in beiden Fällen um ein und denselben Sachverhalt des Regnens zum Zeitpunkt tx handelt, auf den sich beide Feststellungen beziehen, dann handelt es sich eben um einen logischen Widerspruch, sodass nur eine der beiden Feststellungen wirklich wahr sein kann.
Jaspers' Allgemeine Psychopathologie ist eine grundlegende und innovative Abhandlung zur Psychopathologie und damit zur klinischen Psychiatrie. Diese theoretische Abhandlung ist zwar im Anschluss an Kant, Husserl, Wilhelm Dilthey, und anderen philosophisch reflektiert, aber sie präsentiert auch nach seinem eigenen Verständnis noch keine genuine Philosophie. Jaspers' begriffliche Unterscheidung zwischen phänomenologischem Beschreiben, geisteswissenschaftlichem Verstehen, und kausalem Erklären psychischer Phänomene war neu und ging im Anschluss an Husserl und Dilthey über Brentanos begriffliche Unterscheidung zwischen genealogischer und phänomenologischer Psychologie hinaus, die Brentano in seinem Werk Psychologie vom empirischen Standpunkte gemacht hatte und als wichtigen Beitrag in die damals erst entstehende empirische Psychologie eingeführt hatte.
Die Allgemeine Psychopathologie gilt als der Anfang einer methodisch reflektierten psychopathologischen Forschung und Lehre, und als methodischer Kontrapunkt zur sogenannten Gehirnpsychiatrie seines Heidelberger psychiatrischen Kollegen Wilhelm Griesinger, welcher in seinem Lehrbuch von 1845 erstmals eine vollständige materialistische Reduktion aller seelischen Krankheiten insgesamt auf bestimmte Prozesse und Zustände des menschlichen Gehirns und Nervensystems vornahm. Dadurch sollten die sogenannten seelischen Krankheiten als bloße Erkrankungen des Gehirns (und des Nervensystems) aufgefasst, verstanden, und erklärt werden. Diese materialistische Reduktion sollte sowohl für geistige Erkrankungen oder kognitive Störungen der Urteilskraft (wie zum Beispiel Paranoia und Schizophrenie), für Erkrankungen des Gemütes oder emotionale Störungen (wie zum Beispiel schwere Depressionen, Manien, und Phobien) als auch für Erkrankungen der Willensbildung oder motivationale Störungen der willentlichen Selbststeuerung (wie zum Beispiel Süchte und Zwänge) möglich sein. Jaspers knüpfte stattdessen an das Lehrbuch seines psychiatrischen Kollegen Emil Kraepelin an, der eine verbesserte und diagnostisch genauere noseologische Systematik der einzelnen Krankheitserscheinungen und der gestalthaften Krankheitsbilder in die klinische Psychiatrie eingeführt hatte.
Auch seine sechs Jahre später veröffentlichte Psychologie der Weltanschauungen war gemäss Jaspers' eigener Darstellung noch kein eigentlich philosophisches Werk, sondern nur ein psychologisches Durchgangswerk auf seinem dreistufigen Weg von der klinischen Psychiatrie über die empirische Humanpsychologie hin zur akademischen Philosophie.
Jaspers' Plädoyer für eine in der menschlichen Existenz verankerten Vernunftphilosophie und für seine fundamentale Kritik sowohl an der Existenzphilosophie im Anschluss an Sören Kierkegaard als auch an der Lebensphilosophie im Anschluss an Friedrich Nietzsche in seinen fünf Vorlesungen im Jahr 1935 zum Thema "Vernunft und Existenz" sowie drei Vorlesungen im Jahr 1938 zum Thema "Existenzphilosophie" waren wichtige Ergänzungen zu seiner 1932 erschienenen dreibändigen Philosophie. In diesem, zumindest dem Umfang nach, ersten großen Hauptwerk seines eigenen Beitrages zur genuinen Disziplin der Philosophie kann Existenzerhellung immer nur ein Teilbereich der Philosophie, aber nicht selbst schon die ganze Philosophie sein, da sie nach Jaspers auch eine Weltorientierung und eine Metaphysik enthalten muss.
In der Einleitung zu seinem Hauptwerk Von der Wahrheit versucht Jaspers einen Vorbegriff der Logik zu präsentieren, den er in der "Wahrheit in der Zeit" und nicht in den zeitlos gültigen Prinzipien des Logischen sucht (VW 1-3).
Der Sinn der philosophischen Logik liegt nach Jaspers einerseits in einer philosophischen Reflexion auf das Wahrheitsbewusstsein, welche zu einem logischen Wissen führt, das drei Eigenschaften haben soll: Es ist allumfassend, es differenziert analytisch zwischen verschiedenen Ebenen von Seinsweisen und Wissensweisen, und es betrachtet synthetisch das Ganze (VW 3-4). Andererseits liegt der Sinn der philosophischen Logik in der Untersuchung ihrer Zwecke und Wirkungen. "Philosophische Logik" ist Jaspers zufolge kein Wissen um seiner selbst willen, sondern ein transformierendes Nachdenken, das den Raum frei machen soll für den Blick auf die Horizonte aller Wirklichkeit und Möglichkeit (VW 5-6). Logisches Wissen ist noch nicht selbst der Gehalt der Wahrheit (VW 5), da dieser sich erst im konkreten Erkennen und Handeln geschichtlicher Existenz zeigt. Philosophische Logik definiert gemäß Jaspers den Raum dessen, was überhaupt mitteilbar ist; sie ermöglicht, fördert, und erweitert die Kommunikation zur wechselseitigen Erhellung des Wahrheitsbewusstseins, insofern beiderseitig der Wille zur Grenzen-überschreitenden Kommunikation zwischen Fremden und Vernünftigen da ist.
Philosophische Logik verbindet das Wahrheitsbewusstsein mit dem Seinsbewußtsein im Hinblick auf den Grund aller Dinge, der alle Menschen in ihrer Tiefe bewegt. Sie erfordert eine reflexive Umkehrung der natürlichen Ausrichtung des gegenständlichen Bewusstseins auf ein Selbstbewusstsein im Sinne eines Transzendierens der vorhandenen Lebenswelt. Diese Umkehrung geschieht in einem Prozess der Bildung, Selbstfindung und Selbstgestaltung. Sie ermöglicht ein reines, offenes und unbefangenes Gewahrsein der Wirklichkeit. Sie entspricht den Intentionen der philosophia perennis als dem ursprünglichen Ziel aller Philosophie, das in der Verwirklichung der Vernunft besteht (VW 10-1).
Des Weiteren präsentiert Jaspers einen enzyklopädischen Überblick der Logik, nämlich die historischen Ursprünge, den Namen und die bisherigen Richtungen der Logik in ihren historischen Haupterscheinungen und Arten des Sinns von Logik, um hernach die gegenwärtigen Aufgaben der philosophischen Logik zu bestimmen (VW 11-25).
Im nächsten Abschnitt präsentiert Jaspers den Aufbau und die Gliederung seiner neuen philosophischen Logik.
Für ein systematisches Verständnis von Jaspers' Entwurf einer philosophischen Logik scheinen mir der Abschnitt über die bisherigen Richtungen der Logik mit den Teilabschnitten zu ihren historischen Haupterscheinungen und der Arten des Sinns von Logik zu sein (VW 16-24), sowie der letzte Abschnitt der ersten Einleitung über die gegenwärtige Aufgabe der Logik massgebend zu sein (VW 24-5).
Um gleich von Anfang an mögliche Missverständnisse zu vermeiden, sollte man sich meines Erachtens zuerst einmal klar machen, dass es Jaspers um eine philosophische Logik geht und nicht lediglich um eine formale Logik. Insebesondere da man heute unter einer Logik im generischen und nicht weiter bestimmten Sinn meistens nur noch eine bivalente Formale Logik (im Sinne der zeitgenössischen Lehrbücher der formalen Logik mit ihren beiden Teilen einer propositionalen und einer Prädikatenlogik erster Stufe) versteht, muss man meines Erachtens gewahr sein, dass Jaspers nicht immer "philosophische Logik," sondern manchmal einfach auch nur "Logik" schreibt, obwohl er offensichtlich eine spezifisch philosophische Logik meint.
In seinem Abriss über die Richtungen der Logik und den daraus resultierenden Logiken beginnt Jaspers mit den Vorsokratikern, die nur über die Anfangsgründe der Natur spekulierten, er verweist dann auf Zenon als Nachfolger des Seinsdenkers Parmenides und damit als Gegenspieler des Heraklit, der mit dunklen Aphorismen über das unaufhörliche Werden spekulierte. Zenon lehrte den angeblichen
Widerspruch in allem Erkannten und in der Wirklichkeit, vor allem in der Bewegung, die ohne Widerspruch undenkbar, daher unmöglich, daher Schein sei. [VW 16]
Dann erwähnt Jaspers Sokrates und Platon als schöpferische Begründer einer selbst reflektierenden Philosophie, durch welche die europäische Philosophie einen ersten Höhepunkt erklommen hatte. Mit Aristoteles entstanden dann nach Jaspers eine neuartige systematische Darstellung und Gliederung des ihm damals bekannten menschlichen Wissens. Die heutigen Grundbegriffe von Astronomie, Physik und Biologie, von Kosmologie und Theologie, von Ontologie und Metaphysik, von Logik und Semantik, von Ethik und Politik, und so weiter, lassen sich zumindest auf Aristoteles' Benennungen und teilweise auch auf seine Begriffsbestimmungen zurückführen.
Aristoteles galt daher auch Kant noch als Begründer der Logik, die ihm zufolge angeblich keinen Fortschritt gemacht habe. Heute wird Aristoteles auch in vielen Lehrbüchern zur Formalen Logik immer noch als Begründer der Syllogistik gewürdigt, und diese dann als Vorläufer der modernen Prädikatenlogik verstanden.
Jaspers beschreibt die weitere Entwicklung der Logik nach Aristoteles folgendermaßen:
Ein weiterer Schritt erfolgte, als die Logik sich isolierte zu einem Denken des Denkens: losgelöst von allem Inhalt werden nur noch die Beziehungen von Aussagen aufeinander untersucht, das Verhältnis: wenn … so…, der Grund der Geltung im Zusammenhang der Sätze. [VW 16]
Jaspers meint hier die formale Logik, sie ist
nicht mehr selber Philosophie, sondern eine Vorschule der Philosophie...Die Absicht geht weniger auf die Erkenntnis als auf das Argumentieren. Nicht, was bewiesen wird, sondern, daß man beweisen kann, ist das Ziel. Die Möglichkeiten der Kombination, das logische Denken als eine Art von Rechnen wurde entwickelt. [VW 17]
Jaspers wechselt dann jedoch wieder das Thema und lenkt die Aufmerksamkeit hin zur philosophischen Logik, die wie zum Beispiel bei Anselm von Canterbury, durch eine metaphysische Logik geprägt gewesen sei. Thomas Aquinas habe in diesem Sinne und im Anschluss an Aristoteles eine "universale Ordnung alles Denkbaren und Undenkbaren" aufzufinden versucht (VW 17), die bei Meister Eckhart jedoch in dessen gegenstandslose Denkmystik eingestürzt sei, was bei Nikolaus Cusanus zu einem spekulativen Denken über das Transzendente als einem paradoxen Zusammenfall von Gegensätzlichem geführt habe.
Als Nächstes bezieht sich Jaspers auf die neuzeitliche Nova Scientia im Anschluss an Nicolaus Kopernikus, Galileo Galilei, und Isaac Newton. Er schreibt:
Wirklich neue Schritte logischen Bewußtseins wurden seitdem erst in der Entstehung der modernen Naturwissenschaft, endgültig klar seit dem 16. Jahrhundert, getan. [VW 17]
Kant habe dann mit seiner kritischen Philosophie dieses neue Bewusstsein naturwissenschaftlichen Denkens auf seinen Höhepunkt und zugleich an seine Grenzen geführt. Denn Kant habe das, was die neuen Naturwissenschaften für die realen Strukturen und Gesetzmäßigkeiten der Natur hielten, darauf hin untersucht, durch welche menschlichen Erkenntnisvermögen diese vermeintlichen Strukturen und Gesetzmäßigkeiten der Natur überhaupt erkannt werden könnten. Auf diese Weise habe Kant dann feststellen können, inwieweit beide, die menschlichen Vermögen zum Denken und Urteilen, Erkennen und Handeln, und dadurch auch die Naturwissenschaften begrenzt seien, sodass es implizite Grenzen dessen gibt, was wir Menschen mit ihnen überhaupt erkennen und wissen und nicht nur für wahrhalten könnten. Kant habe in diesem Sinne nicht nur eine transzendentale Methode der philosophischen Untersuchung apriorischer Bedingungen der theoretischen und praktischen Vernunft entwickelt, sondern auch eine transzendentale Logik als einer eigentümlichen philosophischen Logik, die er von der formalen Logik unterschieden hätte.
Jaspers führt weiter aus, dass die deutschen Idealisten zwar an einige Resultate von Kants kritischer Philosophie anknüpften, sie interessierten sich jedoch für ein spekulatives Denken über das absolute Ich (Johann Gottlieb Fichte), das Verhältnis von Natur und Geist (F. W. J. Schelling) sowie von Logik, Natur, Geist, und Geschichte (Hegel). Im 19. Jahrhundert jedoch brach an den meisten deutschen Universitäten der Glaube an die spekulativen Systeme des Deutschen Idealismus jedoch zusammen, sodass sich das philosophische Denken in Zuge eines Triumphzuges der Naturwissenschaften zu einem weltanschaulichen Naturalismus entwickelte, der die Logik zu einer Sparte der empirischen Psychologie der natürlichen Gesetzmäßigkeiten des Denkens zu machen versuchte. Damals schien dies das Ende der philosophischen Logik zu sein.
Jaspers verkennt dann jedoch die epochale Meisterleistung der philosophischen Befreiung der apriorischen Logik aus ihrem empiristischen und naturalistischen Selbstmissverständnis als vermeintlich empirisch erforschbare Naturgesetze des menschlichen Denkens durch Frege und Husserl, was nicht nur von den frühen Analytischen Philosophen im Anschluss an Frege, Russell, Wittgenstein, und anderen, sondern auch von den Realistischen Phänomenologen im Anschluss an Husserls Frühwerk, Logische Untersuchungen, als eine Wiederanknüpfung an den Hauptstrom der philosophischen Erforschung des Logischen von Aristoteles bis Kant gedeutet wurde. Jaspers ordnet diese Rückkehr zur apriorisch verstandenen Erforschung des Logischen als bloße formale Logik oder als bloße Logistik ein und grenzt sich davon ab.
Jaspers unterstellt in seinem Abriss über die Geschichte der philosophischen Logik eine einheitliche geschichtliche Entwicklung philosophischer Logik, während die zeitgenössischen Logiker, die Analytischen Philosophen, und die Realistischen Phänomenologen eher eine einheitliche geschichtliche Entwicklung der formalen Logik von Aristoteles über die Stoiker, zur Logik der scholastischen Philosophen von Port Royal, der logischen Analysen von Gottfried Wilhelm Leibniz und Kant bis zu ihrer eigenen Formalen Logik annehmen. So versuchen sowohl Jaspers als auch die beiden Schulrichtungen der Analytischen Philosophie und der Realistischen Phänomenologie ihr je eigenes Verständnis von Logik als fortschrittlichen End- und Höhepunkt einer Entwicklungsgeschichte des philosophischen Denkens über das Logische aufzufassen.
Offensichtlich verteidigen Jaspers und diese beiden Schulrichtungen unterschiedliche Auffassungen bezüglich des Sinnes der Logik beziehungsweise des Sinnes des Logischen. Da kommt es zupass, dass Jaspers zwar "Die Arten des Sinns von Logik" behandelt (VW 19-24) aber anscheinend glaubt nicht ergründen zu müssen und erkennen zu können, was das Wesentliche des Logischen zu allen Zeiten gewesen sein mag. Daher untersuchte er zuerst in einem philosophiegeschichtlichen Abriss und enzyklopädischen Überblick nur, was die Philosophen in der Geschichte der europäischen Philosophie alles "Logik" genannt hatten.
Anstatt sich auf das Wesentliche des Logischen zu konzentrieren, das a priori und zeitlos gültig ist, zerstreut Jaspers das Denken seiner Leser zuerst in langen und zwar kenntnisreichen, aber auch eher oberflächlichen Betrachtungen zur Geschichte der Philosophie. Anfänger und Zaungäste der Philosophie mögen von der Fülle der Informationen und der Bandbreite seiner geschichtlichen Kenntnisse beeindruckt gewesen sein. Denn Von der Wahrheit ist nur der erste Band zu einer philosophischen Logik, dem ein weiterer Band in drei Teilen über Kategorienlehre, Methodenlehre und Wissenschaftslehre folgen sollte. Was aber schreibt Jaspers jetzt über den Sinn von Logik?
Jaspers unterscheidet im Folgenden zwischen Formaler Logik, Ontologie, Psychologie des Denkens, Methodologie, und Transzendentaler Logik. Diese Unterscheidungen halte ich für sachlich angemessen. Beachtlich finde ich, dass Jaspers die Psychologismuskritik von Husserl und Frege soweit aufgenommen hat, dass er die formale Logik für etwas Eigenständiges hält und nicht mehr für dasjenige Teilgebiet der Psychologie des Denkens beziehungsweise der Denkpsychologie, das die faktischen Gesetzmäßigkeiten der psychischen Denkvorgänge zu untersuchen hat, die John Stuart Mill und Wilhelm Wundt noch fälschlich für Naturgesetze gehalten hatten.
Die Logik wurde zwar erst seit Frege ausdrücklich als Formale Logik bezeichnet, aber sie wurde auch schon von Kant (im Anschluss an Aristoteles) als eine formale Disziplin der Untersuchung und Systematisierung der apriorischen Formen des gültigen Denkens und Schließens verstanden und nicht als empirische Untersuchung der faktischen Gesetzmäßigkeiten von Denkvorgängen. Insofern war der empiristische Psychologismus des 19. Jahrhunderts nur ein naturalistisches Zwischenspiel in einer Sackgasse. Daher haben Husserl und Frege nur wieder an Kants Verständnis der Logik als einer formalen Disziplin der apriorischen Formen des gültigen Denkens und Schließens angeknüpft.
Auch Jaspers versteht die Logik zunächst als
die Lehre von den Formen des Begriffs, von den Verhältnissen der Urteile und besonders der Schlüsse. [VW 19]
Zwar wurde die Logik der Begriffe zuerst von Hegel und später auch von Alexander Pfänder wieder als zur Logik hinzu gehörig verstanden, bei Frege, Wittgenstein, und Russell jedoch wegen der ausschließlichen Konzentration auf die Logik der Propositionen und der ein- oder mehrstelligen Prädikate beziehungsweise Relationen erster Stufe ausgeklammert. Das war eine direkte Folge des ursprünglichen Motivs von Frege, das Logische nach den Vorbild der Algebra von Giuseppe Peano in einer eigens erfundenen eindeutigen Begriffsschrift darstellen zu können, um gewisse Ambivalenzen vermeiden und eventuelle Fehlschlüsse in der Mathematik verhindern zu können.
Da sich zumindest empirische Begriffe, wie "grün," "Baum," "Garten," oder "Haus" intentional auf bestimmte Arten von Gegenständen in der Lebenswelt beziehen, haben sie ontologische Implikationen verschiedener Art und lassen sich nicht nur wie ein- oder zweiwertige Relationen als unbestimmte Erfüllung irgendeiner Funktion Fx (x ist F) oder einer Relation Rab (a steht in der Relation R zu b) auffassen. Lange wurde nämlich gar nicht beachtet, dass bei einer solchen Funktion Fx sich gar nicht mehr ontologisch unterscheiden ließ, ob entweder das Haben einer Eigenschaft "das ist grün" (Gx) oder die Zugehörigkeit zu einer Sorte von Gegenstand "das ist ein Baum" (Bx) gemeint ist. Die einheitlich geschriebene Form Fx lässt nämlich diese ontologische Differenzierung gar nicht mehr zu. Der mathematische Ursprung der Fregeschen Begriffsschrift führte aufgrund der spezifisch mathematischen Abstraktion von Raum, Zeit, und konkreter Lebenswelt zu einer formalistischen Ausklammerung der ontologischen Fragen, beziehungsweise zu einer nominalistischen Verflachung des philosophischen Denkens. Jaspers beschreibt diese Situation folgendermaßen:
Sie ist im Hinblick auf Mathematik entstanden und selber fast zu einer Mathematik geworden. [VW 20]
Jaspers realisiert, dass die Logik als Wissenschaft von den Normen des gültigen Denkens und Schließens in Lehrbüchern dargestellt werden kann, dass sie aber wie auch schon in Goethes Faust als ein schulischer Zwang des Denkens empfunden wurde, vor dem zu warnen sei, weil dadurch das freie Denken auf eine einengende und gefährliche Art und Weise normiert würde. Zu beachten ist dabei jedoch, dass es Mephistopheles ist, der diese Warnung ausspricht und dass sie daher nur als Mittel seiner diabolischen Verführung zu verstehen ist. Jaspers berücksichtigt diesen dramatischen Kontext jedoch nicht, sondern macht sich diese Warnung selbst zu eigen.
Jaspers gesteht daher zugegebener Weise dieser formalen Logik ihren Anspruch auf formale Gültigkeit ihrer systematisierten Denkformen zu. Er schreibt:
Diese Logik macht mit Recht den Anspruch, die Regeln zwingender Richtigkeit des Gedankens zu lehren, der aus dem Zusammenhang der Aussagen hervorgeht. Sie bezieht sich auf das Denken im sprachlichen Ausdruck von Sätzen, ohne Rücksicht auf deren Inhalt. [VW 19]
Das heisst, die Logik operiert ohne Rücksicht auf den von den jeweiligen Sprechern in konkreten Situationen und ihren lebensweltlichen Kontexten gedanklich intendierten Inhalt. Aufgrund dieser logischen Abstraktion von den Intentionen der Sprecher in bestimmten lebensweltlichen Kontexten und raumzeitlichen Situationen hat die Formale Logik nur ein sehr beschränktes Feld der Anwendung und nur eine begrenzte Relevanz.
Nur wenn man von dieser Logik erwartet, was sie nie leisten kann, oder wenn dieses gar durch ihre Vertreter in Aussicht gestellt wird, gelten die Vorwürfe. [VW 20]
Außer dem Bemerken gewisser bisher unbemerkter Implikationen generiert die Kenntnis der formalen Logik nach Jaspers weder neue Erkenntnisse, die das bisherige empirische Wissen in den Realwissenschaften erweitern und vertiefen noch neue Einsichten, die das apriorische Wissen in den verschiedenen Disziplinen der Mathematik erweitern und vertiefen. In dieser Hinsicht bleibt die Kenntnis der formalen Logik nicht nur seltsam folgenlos und existenziell irrelevant, sondern es garantiert angeblich noch nicht einmal das Ausbleiben von Fehlschlüssen.
Dass die Formale Logik für die Wissenschaften in inhaltlicher Hinsicht weitgehend folgenlos ist, das scheint mir richtig zu sein. Dass die Formale Logik auch für die existenziellen Belange der Philosophie weitgehend irrelevant ist, das halte ich ebenfalls für zutreffend. Dass die Vertrautheit mit Formaler Logik durch ihr frühes Studium und durch die Kenntnis der Arten von formalen und nicht-formalen Fehlschlüssen nicht einmal garantiert, dass man die logischen Prinzipien und Regeln des gültigen Denkens und Schließens befolgt, das scheint mir hingegen eine etwas zu pessimistische Einschätzung zu sein. Denn zumindest kann die erworbene Kenntnis der Arten von formalen und nicht-formalen Fehlschlüssen die persönliche Aufmerksamkeit für ihr relativ häufiges Vorkommen sensibilisieren, so ähnlich wie die erworbene Kenntnis der Grundrechenarten dabei hilft, einfache Rechenfehler zu bemerken.
Obwohl Jaspers von Kant und Husserl gelernt zu haben scheint, das empiristisch-psychologistische Missverständnis des Logischen zu vermeiden und obwohl er die philosophischen Gefährdungen einer formalistischen Verkürzung des Logischen auf kognitiv interne Verhältnisse des Denkens und Schließens im Anschluss an Frege, Wittgenstein (Tractatus Logico-Philosophicus) und Russell realisiert hat, schätzt er meines Erachtens die philosophische Bedeutung der Existenz der philosophischen Entdeckung eines solchen apriorischen Wissens von zeitlos gültigen Prinzipien und Normen des Denkens und Schließens zu gering ein.
Denn von Platons Dialog Theätet bis zu Kants Kritik der reinen Vernunft und der Kritik der Praktischen Vernunft und weiter bis zu Hegels Phänomenologie des Geistes rätseln Philosophen ganz zurecht über die Frage wie es möglich ist, dass sterbliche Menschen mit einem endlichen empirischen Verstand und mit einer in ihrem jeweiligen Umfeld erworbenen konventionellen Sprache über gewisse apriorische Kenntnisse und über ein implizites Wissen von logischen und mathematischen Prinzipien und Propositionen verfügen können, die nicht nur notwendig wahr sind, also anders als kontingente Tatsachen gar nicht anders sein können, sondern die auch universal wahr sind, also unabhängig sind von den räumlichen und zeitlichen Verhältnissen der konkreten Situationen in ihrer Lebenswelt, in der sie faktisch leben, sich schicksalhaft vorfinden, zum Selbstbewusstsein ihrer singulären Identität als dieser Mensch da und zu einem erwachten Ich-Bewusstsein ihrer eigentümlichen Existenz und schließlich zum Bewusstsein ihrer freien und verantwortlichen Personalität als eine bestimmte Person unter anderen Personen kommen können.
Das modische Zauberwort "Emergenz" wird heute gerne benutzt, um die genealogische Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit pauschal zu erklären, die bei den unbestimmten Empfindungen der Bedürfnisse von Kleinkindern beginnt und die dann von der Wahrnehmung einfacher sinnlicher Gegebenheiten der Kinder bis zu komplexen Wahrnehmungen von realen Gegenständen, Ereignissen und Prozessen, Situationen, Relationen, und Positionen in der raumzeitlichen Lebenswelt verläuft. Diese genealogische Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit geht dann jedoch weiter vom erwachten Selbstbewusstsein als des so-und-so genannten Menschen (in der dritten Person) bis zum Ich-Bewußtsein, das im Gegenüber zum Du und zu Anderen (Er-Sie-Es) im frühen Kindesalter erwacht, und schließlich zum Bewusstsein der eigenen Personalität führt und zwar zuerst in konkreten sozialen Gemeinschaften (in der eigenen heimischen Lebenswelt) im frühen Erwachsenenalter.
Unter günstigen sozialen Umständen und unter günstigen seelisch-geistigen Lernbedingungen kann diese genealogische Entwicklung der Persönlichkeit schließlich zu einem humanen Bewusstsein der eigenen Personalität in potenziell universalen Gemeinschaften anderer (menschlicher) Personen im späteren Erwachsenenalter führen. Dennoch sollte man sich darüber klar werden und nicht vergessen, dass der Ersterwerb einer konventionellen Muttersprache gar nicht ohne den bereits vorhandenen spezifisch menschlichen rationalen Sinn zuerst für Ostension und Prädikation, sodann für Intentionalität und Propositionalität und damit zugleich für Bejahung und Verneinung und schließlich für logische Vereinbarkeit, Folgerichtigkeit, und Widersprüchlichkeit erfolgen kann.
Dass der Mensch, ein ganz besonderes intelligentes Lebewesen auf dieser Erde ist, das anders als alle Pflanzen und Tiere von Anfang an diesen spezifisch menschlichen Sinn für das Logische hat, der vermutlich genetisch angeboren ist, und der seinem kontingenten Spracherwerb zeitlich vorausgeht und ihn überhaupt erst ermöglicht. Kant hat dieses Faktum der Vernunft wie kaum ein zweiter in seiner Tragweite für theoretische und praktische Philosophie erkannt und auch philosophisch auszuwerten versucht.
Kants Metaphysikkritik in ihrer transzendentalphilosophischen Begrenzung des Erkennbaren überhaupt war jedoch eine zu skeptische Bindung an die unmittelbaren Gegebenheiten der sinnlichen Anschauungen, denn schon alle modernen Wissenschaften von der Logik und Mathematik über die Naturwissenschaften bis hin zu den Kultur-, Sozial-, und Geisteswissenschaften können und müssen in rational und methodisch kontrollierter Art und Weise über ihre unmittelbaren empirischen Daten in Form von Beobachtungen und Beschreibungen, Untersuchungen, und Experimenten ontologisch und kategorial hinausgehen. Das geschieht also nicht erst in der philosophischen Metaphysik oder in den diversen Theologien der Weltreligionen, sondern auch schon in den verschiedenen Disziplinen der theoretischen, praktischen, und poietischen Wissenschaften selbst.
Hegel war der erste nachkantische Philosoph, der trotz seiner Wertschätzung von Kant als dem Kritiker eines verflachten "Aufkläricht" und als ein Vollender der echten Aufklärung verstanden hatte, wo, warum und wie die Philosophie selbstbewusst über Kant hinausgehen müsse und könne. Daher hat er im Anschluss an Kant und Herder versucht, Vernunft und Sprache, Universalität und Parochialität, Philosophie und Christliche Theologie synthetisch zusammenzudenken und beiden gerecht zu werden.
Da Jaspers jedoch die Quellen für seine philosophische Logik nur im Zeitlichen der bisherigen Begriffe, Auffassungen, und Entwürfe von Logik sucht, und nicht mehr im Zeitlosen (das heisst in den zeitlos gültigen Prinzipien des Logischen selbst), das mitten im zeitlichen Dasein der Menschen aufscheint, übersieht er die Rätselhaftigkeit dieses Phänomens, das philosophisch verstanden werden muss, da es weder naturalistisch (evolutionär) noch reduktionistisch erklärt werden kann. Denn weder die Genealogie und Geltung des Logischen noch die Genealogie und Geltung der Intentionalität des Psychischen und Mentalen lassen sich kausal mit Hilfe der Physik und Chemie noch teleologisch mit Hilfe der Evolutionsbiologie noch funktional mit Hilfe der Neurowissenschaften von Gehirn und Nervensystem erklären. Das hatten ansatzweise bereits Aristoteles und später in vollständigem Umfang Brentano erkannt. Jaspers allzu geringe Wertschätzung dieser beiden großen systematischen Philosophen rächt sich in dieser Hinsicht.
Auch wenn eine moderne universale und möglichst wissenschaftliche Philosophie in dieser Hinsicht anders als Platon sowohl auf mythisch-religiöse Spekulationen pythagoreischen Ursprunges über ein angeblich vorgeburtliches Leben der Geistseele als auch anders als Schopenhauer auf die Atman-Brahman-Konzeptionen der altindischen Denkschulen des Vedanta verzichten muss, bleibt es wahr und richtig, dass sowohl die Genealogie und Geltung des Logischen als auch die Genealogie und Geltung der Intentionalität des Psychischen und Mentalen nur transzendental oder metaphysisch, aber weder naturalistisch noch reduktionistisch verstanden werden können. Daher übersieht Jaspers anscheinend auch die existenzielle Relevanz des noch von Kant bewahrten Rätsels vom Faktum der Vernunft.
Denn, obwohl es sich primär um ein universales Merkmal des Menschen handelt, wird es just in dem Augenblick existenziell relevant, wenn ich erkenne, dass ich ein Mensch bin. Auch bleibt es dann zumindest so lange existenziell relevant, als ich nicht mehr vergesse, dass ich zwar nur, aber immerhin ein Mensch und damit weder nur ein Tier noch ein Gott bin.
Die Aufklärung durch diese philosophische Einsicht ist gemäß Kant der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit, oder Heideggers gnostische Daseinsanalyse in Sein und Zeit, oder Albert Camus' Akzeptanz der angeblichen Absurdität des menschlichen Daseins in der Welt im Mythos von Sisyphus, oder Jean-Paul Sartres Ekel am Dasein als einem existenziellen Empfinden in der Tiefe der leiblichen Psyche. Damit bleibt dem Betrachter sowohl die von Raymond Tallis erwähnte Veraffung des Menschen (aping mankind) erspart, die Charles Darwin selbst abgelehnt und vermieden hat, die aber vom populistischen Darwinismus vorangetrieben wird, als auch die narzisstische Selbstvergötterung in der mystischen Spiritualität des Vedanta.
Die Aufklärung durch die philosophische Einsicht in die ambivalente und prekäre Doppelnatur des Menschen zwischen Animalität und Rationalität enthält zwar die Chance (mittels eines Übergangs) zu einer erneuerten Vernunftphilosophie im Sinne von Sokrates, Platon, und Aristoteles sowie im denjenigen von Kant und Hegel. Was Jaspers noch in seinem ersten systematischen dreibändigen Hauptwerk Philosophie sowie der beiden damit verbundenen kleinen Schriften Vernunft und Existenz und Existenzphilosophie intendiert hatte, nämlich den konsequenten Aufweis der unauflöslichen Zusammengehörigkeit menschlicher Existenz und menschlicher Vernunft zu erbringen, das scheint er zwar auch hier noch aufrechtzuerhalten zu versuchen, aber es scheint mir fraglich, ob es ihm im ersten Band Von der Wahrheit seiner unvollendeten philosophischen Logik noch einmal gelungen ist.
Da Jaspers die Wahrheit über das Logische nur in der Zeit und im zeitlichen Dasein sucht, bleibt er einerseits in der gegenständlichen und einfühlenden Einstellung des Arztes, Psychopathologen, und Psychologen stecken, der die Sachen und Personen in der Begegnung mit seinen Patienten in der kontingenten raumzeitlichen Lebenswelt untersucht. Andererseits verharrt er in der bloß enzyklopädischen und philosophiegeschichtlichen Einstellung des Gelehrten, der die Probleme anhand der überlieferten Schriften der großen Philosophen, ihrer philosophischen Werke und Denksysteme zu verstehen versucht.
Das Logische ist zwar auch dort implizit vorhanden und immer schon vorausgesetzt, aber um es zu erfassen und zu begreifen, muss auf die wiederkehrenden Muster des korrekten Denkens und Schließens in menschlichen Gedankengängen in gesprochener und geschriebener Sprache selbst reflektiert werden. Denn allein dort findet man das Logische selbst und dazu braucht man die ganze Fülle der (philosophischen) Logiken in ihrer historischen Tiefe und systematischen Breite überhaupt nicht zu kennen.
Um das Wesentliche des Logischen explizit zu machen, bedarf es jedoch einer logischen Analyse und einer philosophischen Synthese durch Reflexion auf das Logische selbst. Das Logische als implizites Wissen verstehen schon Kinder, sobald sie es gelernt haben, ihre ersten Begriffe zu verstehen und verwenden zu können, um dann auch in ganzen Sätzen sprechen und sich damit mit anderen verständigen zu lernen.
Diese philosophische Reflexion auf das Logische selbst entspringt jedoch einer intentionalen Rückwendung des Geistes auf die begrifflichen Gehalte und propositionalen Verhältnisse der kognitiven Produkte sprachlicher Expression und Kommunikation in Worten und Schriften. Sie zu erfassen und zu begreifen, zu untersuchen und zu systematisieren ist eben weder das alltägliche Geschäft der Ärzte, Psychopathologen, und Psychologen noch das Geschäft der gelehrten Enzyklopäden und Philosophiehistoriker, sondern der Logiker und Philosophen.
Das Logische als solches überhaupt wahrzunehmen zu können, ist eine spezielle Form der Gestaltwahrnehmung, die nicht nur Ärzte und Psychologen, Forensiker und Juristen, Politiker und Ökonomen, sondern auch Normalbürger mit einem gesunden Menschenverstand nur selten explizit gelernt haben, und daher auch nur selten beherrschen.
Sie können daher in der Regel nur ganz offensichtliche Widersprüche bemerken, aber nicht komplexere formale und nicht formale Fehlschlüsse erkennen. Logiker und Philosophen müssen die Gestaltwahrnehmung gültiger oder ungültiger logischer Denkmuster in der mündlichen und schriftlichen Kommunikation ebenso gründlich von ihren Lehrern und Vordenkern lernen, wie Ärzte und Radiologen es von ihren Ausbildern und Lehrern lernen müssen, Röntgenbilder und Computertomographien informativ zu lesen, diagnostisch zu deuten und ärztlich in ihrer therapeutischen Relevanz und existenziellen Tragweite für ihre Patienten zu verstehen.
Daher ist es für gewöhnliche Leute und anders ausgebildete Normalbürger schwer nachzuvollziehen und zu verstehen, wenn manche klassisch gebildeten Philosophen fast überall im Alltag und in den Wissenschaften, in den Medien und in der Politik einen wirren Haufen für sie schwer erträglicher manipulativer Sophistik mit ihren formalen und nicht formalen Fehlschlüssen am Werk sehen und daher an der weitgehenden Abwesenheit einer logisch-philosophisch aufgeklärten Luzidität und Rationalität fast verzweifeln könnten.
Die Anhäufung des menschlichen Wissenspotenzials macht es notwendig, die Gesamtheit des Wissenstandes systematisch zu erfassen. Jaspers schreibt programmatisch:
Das heutige Denken braucht eine Reform der Logik aus den Grunde heraus. Wie sie aussehen kann, vermag nur wirkliche Ausführung zu zeigen. [VW 24]
Jaspers meint hier selbstverständlich wieder eine philosophische Logik, also keine formale Logik. Daher kann er von ihren Gestalten in der Vergangenheit sprechen, die "in Wahrheit prima philosophia, Logik im tieferen Sinne" gewesen ist (VW 24). Er führt aus:
Unser Zeitalter im Ganzen bringt eine neue, umfassende Logik hervor...Auf diesem Wege will meine Logik eine Besinnung sein, die den Entwurf einer Logik im Ganzen wagt. [VW 25]
Selbstverständlich könnte man darüber streiten, ob das heutige Denken wirklich eine Reform der Logik braucht. Die letzte große Reform der Logik im Anschluss an Freges Begriffsschrift hatte höchst ambivalente Folgen für die zeitgenössische Philosophie, wie ich oben angedeutet habe. Auch finde ich kaum nachvollziehbar und zu verstehen, was "eine Reform der Logik aus den Grunde heraus" sein soll. Vermutlich meint Jaspers nur eine radikale oder gründliche Reform. Jedenfalls müssten einzelne Logiker oder Philosophen eine neue philosophische Logik hervorbringen, nicht das ganze Zeitalter. Dabei müssten sie genau klären, wie sich diese neue philosophische Logik zur formalen Logik, zu Kants transzendentaler Logik und zu Hegels spekulativer Logik verhalten soll.
Die Darstellung der neuen philosophischen Logik von Jaspers kann kein philosophisches System wie zum Beispiel im Sinne Hegels sein, sondern "nur eine offenhaltende Systematik" (VW 26). Jaspers erklärt:
Denn der Sinn von Logik—als Hellwerden des Wissens von Wahrheit in der Zeit—kann in einer sich schließenden Wissenschaft nicht erhalten bleiben. [VW 26]
Eine philosophische Logik kann kein geschlossenes System sein, weil es dann kein zeitlich wachsendes Wissen geben könnte, durch die Erhellung als ein Prozess im menschlichen Bewusstsein und Geist stattfindet. Der Sinn einer solchen offenen Systematik liegt im Zusammenhang verschiedener Gestalten des Denkens, die nicht nur isoliert betrachtet werden, sondern als Einheit verschiedener Bereiche zu verstehen sind. Es soll alles in einen geordneten Zusammenhang gebracht werden, wobei die lineare, buchtechnische "Ordnung der Darstellung" nicht mit dem offenen System der vieldimensionalen Sachen selbst zu verwechseln ist.
Jaspers wählt für die Darstellung seiner philosophischen Logik eine buchtechnische Zweiteilung: Der Erste Teil untersucht die "Grenzen und Ursprünge des Sinns von Wahrsein" im vorliegenden ersten Band Von der Wahrheit. Der Zweite Teil bezieht die gewonnenen Grundeinsichten auf verschiedene Weisen des Erkennens in drei geplanten, aber unvollendeten Teilbänden zum Thema Kategorienlehre, Methodenlehre, und Wissenschaftslehre.
Im ersten Teil sollen die Grenzen so weit wie möglich ausgelotet werden, an denen
die unüberschreitbaren Ausgangspunkte menschlichen Wissens fühlbar werden. [VW 26]
Es geht Jaspers dabei nicht um Grenzen in der Welt, sondern um Grenzen im Menschen selbst als dem Ursprung. Wären diese Grenzen ganz erfassbar, dann könnte man sie auch überschreiten und man wüsste, was jenseits der Grenzen liegt. Aber was jenseits dieser Grenzen liegt, ist für Menschen weder zu fassen noch zu überschauen. Trotzdem gibt es immer etwas, woraus man ist, was umfassender ist als das, was den Philosophen über den Menschen selbst schon bekannt ist. Dieses Umfassende nennt Jaspers das Umgreifende, das jedoch nichts Gegenständliches ist, und daher auch nicht wie etwas Gegenständliches erkannt werden kann, sondern nur eine Vertiefung zulässt. Jaspers schreibt:
Die im ersten Hauptteil entwickelten Horizonte und die im Transzendieren über sie hinaus erhellten Ursprünge zeigen den Raum, in dem das bestimmte Wissen sich vollzieht. Dieses bestimmte Wissen ist Thema der Darstellungen des zweiten Teils. [VW 26]
Die Methodenlehre behandelt die praktischen und kognitiven Operationen, durch die bestimmte Einsichten erreicht werden können. Die Kategorienlehre behandelt die Kategorien, durch die bestimmtes Wissen seine kategoriale Bestimmtheit erlangt. Die Wissenschaftslehre behandelt die Wissenschaften als verschiedene systematische Gestalten, in denen Wissen konkret wird, erfasst, geordnet und beherrscht wird.
Jaspers philosophische Logik soll von der Untersuchung der verschiedenen Bedeutungen des Wahrseins im ersten Teil über die Methodenlehre als Darstellung der Wege, zu Wahrheiten zu gelangen, sodann zur Kategorienlehre als Darstellung der kategorialen Formen des Wissens und schließlich zur Wissenschaftslehre als Darstellung der systematischen Gestalten der Wahrheit.
Am Anfang stehen die radikalen Erhellungen, am Ende sind die konkreten Probleme möglich... Oder anders: Von der Erhellung des erkennenden Menschseins gehen wir bis zu den konkreten Daseinsweisen der Wissenschaft. [VW 27]
Für Jaspers soll Existenzphilosophie zur Wissenschaftsphilosophie führen.
Jaspers neue philosophische Logik sollte weder ein formales System des logischen Denkens und Schließens sein wie die aristotelische Syllogistik noch eine vollständige Systematik der logischen Urteilsformen wie die Kantischen Urteilstafeln, noch eine vollständige Systematik der ontologisch-metaphysischen Spekulationen wie Hegels Logik.
Seine neue philosophische Logik sollte vielmehr eine offene Systematik sein. Das scheint ein Widerspruch in sich zu sein, da der sprachliche Ausdruck "Systematik" eine gewisse Form, Gestalt, oder Struktur nahelegt, der Ausdruck "Offenheit" jedoch gerade Formlosigkeit, Gestaltlosigkeit, und Abwesenheit von Struktur suggeriert.
Seine neue philosophische Logik sollte aus vier systematischen Teilen bestehen, einer Wahrheitslehre, einer Methodenlehre, einer Kategorienlehre, und einer Wissenschaftslehre. Davon hat er bekanntlich nur den ersten Teil realisiert und zwar in seinem Werk Von der Wahrheit. Warum sein Mammutprojekt unvollendet geblieben ist, lässt sich nur erahnen. Diese Frage muss man an Jaspersbiografen und Kenner seiner Werksgeschichte weiterreichen. Mir ging es nur darum, zu zeigen, dass Jaspers gemäss meiner Einschätzung die implizite Struktur des Logischen nicht verstanden hatte. Sie ist ein anthropologisches Faktum und zugleich ein transzendentales Phänomen, das jedoch naturalistisch (evolutionsbiologisch oder neurowissenschaftlich) nicht verstanden und erklärt werden kann, zumal es dabei immer schon vorausgesetzt werden muss.
Den oftmals hilfreichen Begriff des impliziten Wissens hat erst Michael Polanyi geprägt und in die Philosophie und Wissenschaftstheorie eingebracht. Für die zeitgenössische Psycholinguistik im Anschluss an Noam Chomsky und Steven Pinker scheint klar zu sein, dass bei Kindern ein gewisser Sinn für das Logische zusammen mit der sprachlichen Kompetenz entsteht, erste Begriffe zu erlernen, in ganzen Sätzen zu sprechen und damit auch die bivalenten Wahrheitswerte von "wahr" und "falsch" zu verstehen.
Es ist in meiner Sicht kein Unglück, dass Jaspers sein heikles Mammutprojekt nicht vollendet hat beziehungsweise nicht mehr vollenden konnte oder wollte. Es ist nur schade, dass er dazu weder die philosophischen Beiträge von Michael Polanyi noch die spätere Entwicklung der modernen Psycholinguistik kennen, rezipieren, und verarbeiten konnte.